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Untitled

Untitled

Titel: Untitled
Autoren: Unknown Author
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hereilen, ich beobachte sie, ich spreche mit ihnen – denn meines Erachtens ist es übrigens unwahr, daß sie einsilbig und unfreundlich sind – aber ihr Innenleben bleibt mir verschlossen. Sie sind unaufhörlich beschäftigt, aber ich kenne die Beweggründe für ihr unermüdliches Tun nicht. Es ist gar nicht ihre Reserviertheit, die mich kapitulieren läßt, denn oftmals sind sie überraschend redselig – das Problem ist, daß ich nicht weiß, wo ihre Redseligkeit aufhört und ihre Zurückhaltung anfängt. Man sagt, daß sie sich strikt an die Konventionen halten würden, und doch können sie eine Nonchalance unter Beweis stellen, die ihresgleichen sucht. Und wenn man sie darauf anspricht, scheinen sie keinerlei Theorie über das Leben zu haben, die man definieren könnte.»
    «Sie haben völlig recht», sagte Mr. Delagardie. «Die Englän
    der haben eine Abneigung gegen Theorien. Aber es ist, eben darum, recht leicht, mit uns auszukommen. Unsere Konventionen sind rein äußerlich, man kann sie sich schnell zu eigen machen. Aber unsere Lebensphilosophie ist jeweils eine individuelle, und wir halten uns nicht für berufen, in die der anderen hineinzureden. Deshalb ist es bei uns auch erlaubt, in einem öffentlichen Park jegliche aufrührerische Meinung offen zu äußern – mit der einzigen Auflage, daß sich keiner so weit vergessen darf, die Zäune herauszureißen oder auf die Blumen zu treten.»
    «Ich bitte um Verzeihung, ich hatte einen Moment lang vergessen, daß Sie selbst Engländer sind. Vom Äußeren her und auch von Ihrem Akzent gehen Sie ohne weiteres als Franzose durch.»
    «Danke sehr», antwortete Mr. Delagardie. «Ich bin tatsächlich nur zu einem Achtel französischer Abstammung. Die anderen sieben Achtel sind englisch, und der Beweis dafür ist, daß ich Ihre Worte als Kompliment auffasse. Im Gegensatz zu Juden, Iren und Deutschen mögen es die Engländer, wenn man ihre Herkunft für noch gemischter und exotischer hält, als sie es in Wirklichkeit ist. Dadurch wird die romantische Saite im englischen Temperament zum Klingen gebracht. Sagen Sie einem Engländer, er sei reinrassig angelsächsisch und ohne jeglichen semitischen Einschlag, und er wird Sie auslachen; sagen Sie ihm, daß seine Ahnenreihe vor langer Zeit auch einmal französische, russische, chinesische oder sogar arabische oder Hindu-Anteile aufzuweisen hatte; dann wird er Ihnen höflich und mit Genugtuung zuhören. Je entfernter die Verwandtschaft, desto besser, versteht sich; das ist zum einen pittoresker und verschafft Ihnen zum anderen einen weniger zweifelhaften Ruf in der Gesellschaft.»
    «Einen zweifelhaften Ruf? Aha! Sie geben also zu, daß Engländer alle Völker außer dem eigenen verachten?»
    «Nur solange er noch nicht dazu gekommen ist, sie zu assimilieren. Was er verachtet, sind nicht so sehr andere Völker als vielmehr andere Kulturen. Er läßt sich nur ungern als dahergelaufenen Südländer bezeichnen; sollte er aber mit Glutaugen und dunklerem Teint ausgestattet sein, dann führt er diese Charakteristika mit Freuden auf einen Hidalgo zurück, den es in einem Wrack der spanischen Armada an die englische Küste verschlagen hat. Bei uns kommt alles aufs Gefühl und die Assoziationen an, die geweckt werden.»
    «Ein merkwürdiges Volk!» fand Monsieur Daumier.
    «Und trotzdem ist der Nationaltypus unverkennbar. Man sieht jemanden und erkennt sofort, daß er Engländer ist – aber das ist auch schon alles, was man je über ihn erfahren wird. Nehmen Sie zum Beispiel das Paar am Tisch gegenüber. Er ist unzweifelhaft ein Engländer, einer aus der Schicht der wohlhabenden Müßiggänger. Er hat ein leicht militärisches Auftreten und ist sehr braun gebrannt – aber das liegt vielleicht nur an seiner Vorliebe für le sport. We nn man ihn so anschaut, möchte man meinen, daß ihn außer der Fuchsjagd nichts im Leben interessiert – wenn man davon absieht, daß er in der Tat offensichtlich sehr angetan von seiner außerordentlich schönen Begleiterin ist. Aber wenn Sie mich fragen, er könnte Abgeordneter sein, Finanzier oder genausogut Bestsellerautor. Von seinem Gesicht läßt sich zumindest nichts ablesen.»
    Mr. Delagardie warf einen Blick auf die in Rede stehenden Gäste.
    «Ach, ja!» sagte er. «Erzählen Sie mir, was Sie mit ihm und der Frau an seiner Seite anfangen können. Sie haben recht: Sie ist ein hinreißendes Geschöpf. Ich hatte immer schon ein Faible für echte Rotblonde. Sie können oft sehr
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