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Unpopuläre Betrachtungen (German Edition)

Unpopuläre Betrachtungen (German Edition)

Titel: Unpopuläre Betrachtungen (German Edition)
Autoren: Bertrand Russell
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Grunde baue ich ganz auf diese Eigenschaften.« Er legt damit nicht die Gründe dar, aus denen er selbst ein Konservativer war; aber es ist klar, dass »Nachlässigkeit und Unaufmerksamkeit« zwar zur Ergebung in den status quo führen, aber keinen Menschen ohne die Hilfe anderer Gründe zur Unterstützung irgendeines Reformplanes bewegen können.
    Obgleich Hobbes weniger skeptisch als Hume war, teilte er doch mit diesem die Überzeugung, dass die Regierung nicht göttlichen Ursprungs sei und so wurde auch er durch seinen Unglauben zum Anwalt einer extrem konservativen Einstellung.
    Die »Antwort« auf Protagoras gab Plato, auf Hume erwiderten Kant und Hegel. In beiden Fällen atmete die philosophische Welt erleichtert auf und verzichtete auf eine allzu eingehende Untersuchung der logischen Richtigkeit dieser Antworten, die jedes Mal sowohl politische wie theoretische Konsequenzen nach sich zogen. Bei der »Antwort« auf Hume war es jedoch nicht der liberale Kant, sondern der reaktionäre Hegel, der die politischen Folgerungen zog.
    Grundsätzliche Skeptiker aber wie Protagoras oder Hume sind niemals einflussreich gewesen und dienten hauptsächlich als Schreckgespenster, mit denen die Reaktionäre das Volk in einen irrationalen Dogmatismus scheuchen konnten. Die wirklich mächtigen Gegner, mit denen Plato und Hegel kämpfen mussten, waren nicht die Skeptiker, sondern die Empiristen, in dem einen Falle Demokrit, im andern Locke. Bei beiden war der Empirismus mit Demokratie und einer mehr oder weniger utilitaristischen Ethik verknüpft. In beiden Fällen gelang es der neuen Philosophie, sich vornehmer und tiefgründiger darzustellen als die Philosophie des alltäglichen commonsense, die sie beiseite drängte. In beiden Fällen machte sich die neue Philosophie im Namen alles Erhabenen zum Vorkämpfer von Ungerechtigkeit, Grausamkeit und Reaktion. Im Falle Hegels ist dies allmählich mehr oder weniger erkannt worden, im Falle Platos ist es noch heute unklar geblieben.
    Plato äußerte – laut Diogenes Laertius – die Ansicht, dass alle Werke von Demokrit verbrannt werden müssten. Sein Wunsch ging insofern in Erfüllung, als keine der Schriften Demokrits erhalten blieb; er selbst erwähnte ihn in seinen Dialogen mit keinem Wort. Aristoteles berichtet einiges von seinen Lehren, Epikur popularisierte ihn, und schließlich fasste Lukrez die Lehre Epikurs in Verse. Dem ungeachtet kann nicht genug getan werden, um Platos verhassten Feind zu interpretieren und richtig zu beurteilen.
    Demokrit ist, gemeinsam mit Leukipp hauptsächlich als Begründer des Atomismus bekannt, für den er trotz der Einwände der Metaphysiker eintrat – Einwände, die von ihren Nachfolgern bis zu Descartes und Leibniz wiederholt wurden. Sein Atomismus war indessen nur ein Teil seiner allgemeinen Philosophie. Er war ein Materialist, Determinist, Freidenker und Utilitarist, dem alle heftigen Leidenschaften zuwider waren, und er glaubte an die Evolution sowohl in kosmischer wie in biologischer Hinsicht.
    Wie die ihm geistesverwandten Männer des achtzehnten Jahrhunderts war Demokrit ein glühender Demokrat. »Armut in einer Demokratie«, sagt er, »ist dem so genannten Wohlstand unter Despoten genau so vorzuziehen wie Freiheit der Sklaverei.« Er war ein Zeitgenosse von Sokrates und Protagoras und ein Landsmann des letzteren; der Schwerpunkt seiner Wirksamkeit lag in den ersten Jahren des Peloponnesischen Krieges. In diesem Kriege gipfelte der Streit zwischen Demokratie und Oligarchie, der die ganze hellenische Welt erfüllte. Sparta vertrat die Oligarchie; ebenso auch Platos Freunde und Familie, die so gewissermaßen zu »Quislingen« wurden. Man nimmt an, dass ihr Verrat zur Niederlage Athens wesentlich beigetragen hat. Gleich nach dieser Niederlage begab sich Plato daran, das Lob der Sieger anzustimmen, indem er das Bild eines utopischen Staates entwarf, dessen Hauptzüge der Verfassung Spartas entsprachen. Seine künstlerische Geschicklichkeit war jedoch so groß, dass die Liberalen seine reaktionären Tendenzen nie bemerkten, bis seine Jünger Lenin und Hitler endlich eine praktische Auslegung seiner reaktionären Theorien lieferten.
    Dass Platos »Staat« in politischer Hinsicht von anständigen Menschen bewundert worden ist, stellt vielleicht das erstaunlichste Beispiel von literarischem Snobismus in der ganzen Weltgeschichte dar. Betrachten wir einmal einige Punkte dieser totalitären Kampfschrift. Das Hauptziel der Erziehung, der alles
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