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Unheilvolle Minuten (German Edition)

Unheilvolle Minuten (German Edition)

Titel: Unheilvolle Minuten (German Edition)
Autoren: Robert Cormier
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auf – New Kids on the Block und Billy Joel und Madonna. Obwohl sie nicht oft in ein Konzert ging, war es doch toll, früh am Abend dort zu sein und zu sehen, wie die Limousinen angefahren kamen und Menschen aus Boston und Worcester ausspien. Am tollsten aber war das Wissen, dass die Stars gleich um die Ecke im Wickburg Hilton waren. Eines Abends hatte sie Billy Joel zu sehen bekommen, als er aus dem Hilton trat, und dieser kurze Blick war intimer und viel persönlicher , als ihn aus einiger Entfernung auf der Bühne zu betrachten.
    All das hatte jetzt keine Bedeutung mehr. Jetzt, wo Karen im Krankenhaus im Koma lag und das Haus ein Trümmerhaufen war und ihre Mutter so fassungslos und untröstlich, dass Jane es kaum ertrug, sie anzusehen. Und ihr Vater mit seinem brodelnden Zorn. Das war das richtige Wort dafür. Kein wütendes Toben, sondern ein Brodeln. Ein Zorn, der in ihm gärte und sich dem Siedepunkt näherte.
    Als er jetzt mit dem Inspektor sprach, hielt er seine Wut nur noch mühsam im Zaum. Jane machte sich in dem großen Ledersessel ganz klein und lauschte, wagte dabei kaum zu atmen.
    »Das geht schon so, seit wir hier eingezogen sind, vor fast einem Jahr. Kleinkram, der im Grunde lächerlich ist, aber …« Seine Stimme verebbte, klang leicht gedämpft.
    »Was denn für Kleinkram?« Der Inspektor hatte keinerlei Ähnlichkeit mit einem Inspektor aus Film und Fernsehen. Er war klein und dick und hatte eine Quietschstimme, als würde jemand auf seinen Adamsapfel drücken. Gestern hatten sich zwei uniformierte Polizisten stundenlang hier aufgehalten und heute war dieser Inspektor in Zivil erschienen.
    »Das Telefon klingelt und es ist keiner dran. Im vergangenen Monat wurde ein Stein durchs Fenster geworfen. Marie, meine Frau, hat letztes Jahr Tomaten angepflanzt und die Tomatenpflanzen wurden alle herausgerissen und im Garten verstreut. Ein totes Eichhörnchen im Briefkasten.«
    »Sie haben diese Vorfälle nie gemeldet?«
    »Nein«, stieß er hervor. Jane sah deutlich das Bild vor sich, wie er einen roten Kopf bekam. Sie kannte die Symptome, diese gepresste Stimme, die Worte, die wie Feuerwerkskörper knallten. Er bereitete sich auf seinen Wutanfall vor. Das passierte vielleicht nur einmal im Jahr, aber wenn er dann schließlich doch mal in die Luft ging, musste man sich vorsehen. Gestern hatte er diese Fragen geduldig beantwortet, aber heute war er nahe am Explodieren.
    »Die Polizei rufen?«, fragte er, und seine Stimme wurde ein wenig schrill. »Wegen Tomatenstauden anrufen? Wegen eines toten Eichhörnchens?«
    Dann stellte der Inspektor eine neue Frage. »Haben Sie irgendwelche Feinde, Mr Jerome?«
    Ach du Schande, ihr Vater und Feinde. Diese Vorstellung war grotesk. Ihr Vater war der Inbegriff des braven Bürgers. Geschäftsführer der Telefongesellschaft von Wickburg. Trug weiße Hemden, gestreifte Krawatten, lächelte viel, spielte samstagnachmittags Golf, ging am Sonntag mit seiner Familie zur Kirche, half jedes Jahr im Komitee der Wohltätigkeitsveranstaltung mit. Wen konnte er zum Feind haben?
    Jane hätte es niemals laut gesagt und keinem Menschen gegenüber eingestanden, aber ihr Vater war ein Schatz. Nie machte er ihr das Leben schwer, verursachte ihr keinerlei Kummer. Gab ihr keinen Hausarrest, verlor nie die Geduld mit ihr oder Karen oder Artie, ihrem kleinen Bruder, der gerade im widerborstigsten Alter war. Das Ergebnis war, dass Jane sich Mühe gab, ihrem Vater Freude zu machen und es sich zu verdienen, keinen Hausarrest zu bekommen.
    »Ob ich Feinde habe?« Die Stimme ihres Vaters klang plötzlich wie die eines kleinen Jungen, unsicher, verwirrt.
    Sie musste hier weg, wollte nichts mehr hören. Konnte nicht länger mit anhören, wie ihr Vater verhört wurde, ertrug es nicht, dass er sich so verletzlich anhörte, ein wenig verängstigt. Dadurch fühlte auch sie sich verletzlich und verängstigt.
    Auf der Veranda hinterm Haus, in der Frische des Aprilmorgens, warf sie sich in den Schaukelstuhl, einen alten Korbsessel. Normalerweise wäre sie in ihr Zimmer geflohen, in dem sie immer Trost und Zuflucht fand. Aber auch ihr Zimmer war zerstört worden. Sie hatte es geliebt, das Zimmer, in dem Blau vorherrschte, ihre Lieblingsfarbe. Und alle ihre Lieblingssachen. Ihre spezielle Glasmenagerie aus Fröschen und Hunden und Katzen. Die Poster an den Wänden – New Kids und Bruce und Sprüche wie Nach dem Regen kommt der Regenbogen . So viele Poster, dass ihr Vater sagte, er hätte sich die Kosten
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