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Undank Ist Der Väter Lohn.

Undank Ist Der Väter Lohn.

Titel: Undank Ist Der Väter Lohn.
Autoren: Elizabeth George
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Ensemble applaudierte ihm begeistert von der Bühne zu, auch die Kritiker, deren Sitzplätze er sich genau gemerkt hatte – um sie »treffsicher in die Luft sprengen zu können«, wie Matthew mit grimmigem Spott vermerkt hatte –, waren aufgestanden und stimmten in den Beifall ein, von dem David bereits befürchtet hatte, er sei ihm so unwiederbringlich verloren wie sein Freund und Partner Michael.
    In den folgenden Stunden nahm der Beifall noch zu. Bei der Premierenfeier im Dorchester, in einem Saal, der mit viel Phantasie in ein Schloß Helsingör verwandelt worden war, nahm David an der Seite seiner Frau und der Hauptdarsteller des Stücks die Glückwünsche der Londoner High Society entgegen. Stars aus Film und Theater überschütteten die Kollegen mit Komplimenten und knirschten im stillen vor Neid mit den Zähnen. Prominenz aus allen Bereichen des gesellschaftlichen und öffentlichen Lebens zollte King-Ryders Hamlet Lob, das von »allererste Klasse« über »einfach fabelhaft, Darling« bis zu »packend von Anfang bis Ende« reichte. Schicke junge Dinger – in ausgefallenen Fummeln mit gewagten Dekolletes, bekannt entweder weil sie überall anzutreffen waren oder berühmte Eltern hatten – erklärten, endlich habe jemand Shakespeare »genießbar« gemacht; Vertreter jenes ehrenwerten Clans, der Phantasie und Wirtschaft der Nation bis zum äußersten zu strapazieren pflegte – der königlichen Familie nämlich –, wünschten viel Erfolg. Und während alle sich natürlich freuten, Hamlet und seinen Mitspielern die Hände zu drücken, während es allen eine Ehre war, Virginia Elliott zur meisterhaften Inszenierung der Popoper ihres Mannes zu gratulieren, war der umschwärmte Star des Abends der Mann, den man mehr als ein Jahrzehnt lang geschmäht und beschimpft hatte.
    Der Triumph war in der Tat vollkommen, und David King- Ryder wünschte, er hätte ihn genießen können. Er lechzte nach einem Gefühl froher Zuversicht, daß sich nun das Leben vor ihm auftun würde, aber er konnte einfach das Gefühl nicht loswerden, daß der Vorhang nun sprichwörtlich gefallen war. £5 ist vorbei, dröhnte es wie Theaterdonner in seinen Ohren.
    Er wußte, was Ginny gesagt hätte, wenn er ihr anvertraut hätte, was seit dem Schluß der Vorstellung in ihm vorging. Sie hätte ihm erklärt, seine Niedergeschlagenheit, Beklemmung und Hoffnungslosigkeit seien ganz normal. »Das ist eine typische Reaktion«, hätte sie gesagt. Und während sie in ihrem gemeinsamen Schlafzimmer herumgegangen wäre, ihre Ohrringe auf den Toilettentisch gelegt und ihre Schuhe achtlos in den Schrank geworfen hätte, hätte sie ihm gähnend erklärt, daß sie weit mehr Grund zur Niedergeschlagenheit habe. Ihre Arbeit als Regisseurin war getan. Gewiß, es gab noch ein paar Feinarbeiten – »es wäre wirklich schön, wenn der Mann in der Beleuchtung mitmachen und die letzte Szene auch noch richtig hinkriegen würde« –, aber im Grunde war es so, daß sie diese Arbeit jetzt hinter sich lassen mußte, um den Prozeß bei der Produktion eines anderen Stücks ganz neu aufzunehmen. Ihm hingegen würde der Morgen eine Flut telefonischer Glückwünsche bringen, Bitten um Interviews und Angebote aus aller Welt. Er würde sich entweder in eine weitere Inszenierung von Hamlet stürzen oder etwas ganz Neues in Angriff nehmen können. Diese Möglichkeit der Wahl hatte sie nicht.
    Wenn er gestanden hätte, daß er einfach nicht die Kraft hatte, etwas Neues anzupacken, hätte sie gesagt: »Nein, im Moment natürlich nicht, David. Das ist doch ganz normal. Woher solltest du die Kraft so schnell nehmen? Laß dir Zeit zur Erholung. Du mußt erst wieder zur Ruhe kommen.«
    Innere Ruhe war die Quelle der Kreativität, und wenn er seine Frau darauf aufmerksam gemacht hätte, daß sie es anscheinend nie nötig hatte, sich diese Ruhe zu gönnen, hätte sie dagegen gehalten, daß Regie etwas ganz anderes sei als die Komposition eines Werks. Sie habe immerhin das Rohmaterial, mit dem sie arbeiten könne – ganz zu schweigen von einem Heer künstlerischer Mitarbeiter, mit denen sie sich auseinandersetzen könne, während die Inszenierung Gestalt annahm. Er habe nur sein Musikzimmer, das Klavier, die Einsamkeit und seine Phantasie.
    Und die Erwartungen des Publikums, dachte er trübsinnig. Sie waren der Preis des Erfolgs.
    Zusammen mit Ginny hatte er sich von der Feier im Dorchester weggeschlichen, sobald es möglich war. Sie hatte zunächst protestiert, als er ihr sagte,
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