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Und wenn wir fliehen (German Edition)

Und wenn wir fliehen (German Edition)

Titel: Und wenn wir fliehen (German Edition)
Autoren: Megan Crewe
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noch weitere drei Tage ohne Nebenwirkungen durch den Impfstoff bleibe, bespreche ich den nächsten Schritt mit Nell, hatte er notiert. Und ganz oben auf der Seite: Projekt WebImpfst. , Tag 18.
    Mit klopfendem Herzen ließ ich mich auf einen der Stühle fallen und blätterte das Notizbuch rückwärts durch.
    Nachdem ich ein paar Minuten darin gelesen hatte, ging ich zum Kühlschrank und öffnete ihn. Im zweiten Fach stand ein Plastiktablett mit fünf versiegelten Ampullen einer bernsteinfarbenen Lösung. Ich schloss die Tür wieder, bevor zu viel Wärme hineingelangte, und lehnte mich von außen daran an. Meine Hände zitterten.
    Da waren sie. Die Proben von Dads neuem Impfstoff.
    Er hatte die ganze Zeit weiter daran gearbeitet, auch dann noch, als sein Team die erste Probe hinüber aufs Festland geschickt hatte. Auch dann noch, als er nur noch ganz allein im Forschungszentrum übrig war. Und er hatte jeden seiner Schritte in dem Notizbuch festgehalten. Er hatte versucht, das Virus unschädlich zu machen, indem er Proteine einer früheren Mutation verwendete und dabei eine Zusammensetzung entwickelt, von der er annahm, dass sie höchstwahrscheinlich wirksam und zugleich sicher sein würde. Aber zuerst musste er sie testen. Und typisch Dad, hatte er es nicht richtig gefunden, dass irgendjemand außer ihm selbst dieses Risiko auf sich nahm.
    Deshalb hatte er sich achtzehn Tage vor seinem Tod, ohne einer Menschenseele davon zu erzählen, eine Probe davon gespritzt. Und er war nicht krank geworden. Obwohl er im Krankenhaus sogar jeden Tag mit Infizierten in Kontakt gekommen war.
    Wir hatten einen Impfstoff.
    Wir hatten einen höchstwahrscheinlich wirksamen Impfstoff!

Zwei
    Im Krankenhaus war es nicht mehr so überfüllt wie früher, aber aus den Zimmern direkt hinter der Eingangshalle konnte ich jedes einzelne Stadium der Krankheit hören. Das Husten und Niesen und das kratzende Geräusch, das die Finger auf der Haut hinterließen, wenn sie versuchten, das unaufhörliche Jucken zu vertreiben. Das fröhliche Geschwätz aus den weiter entfernt gelegenen Räumen, wo die Patienten Dinge erzählten, bei denen ihnen die Haare zu Berge gestanden hätten, wenn sie sich so etwas in gesundem Zustand hätten sagen hören: Eine Frau schwärmte lauthals vom Mann ihrer Nachbarin, ein Junge gab damit an, dass er das Lieblingsspielzeug seines Bruders kaputt gemacht hatte. Und aus dem ersten Stockwerk die Schreie der Leute, die das Virus schon am längsten befallen hatte. Beruhigungsmittel gegen die heftigen Halluzinationen, die sie kurz vor dem Ende bekamen, hatten wir keine mehr.
    Vor ein paar Wochen hatte Nell mir erzählt, dass ihnen inzwischen auch die Schutzmasken ausgegangen waren.
    »Eigentlich sollten wir sie nicht mehrfach verwenden«, hatte sie gesagt, »aber wir lassen sie die Patienten immer noch tragen – das hilft, uns zu schützen und jemandem, der schon infiziert ist, kann es nicht mehr schaden.«
    Wir anderen bedeckten uns das Gesicht so gut wir konnten, sobald wir das Haus verließen. Weil ich die Krankheit schon gehabt hatte und jetzt immun war, ging ich immer als Erste zur Tür, wenn ich mit Gav zusammen Essen verteilte oder gemeinsam mit Tessa unterwegs war, um Nachschub für unsere Vorräte zu besorgen. Gav war das nicht recht, aber ich wollte kein Risiko eingehen. Wenn man sich mit dem Virus ansteckte, war das quasi ein Todesurteil. Ich hatte nur deshalb überlebt, weil ich mich mit einer früheren Variante infiziert hatte, die mich teilweise immun machte. Und Meredith hatte es bloß wegen einer neuartigen Behandlungsmethode geschafft, bei der mein Blut verwendet wurde.
    Im Erdgeschoss war Nell nirgends zu sehen, also machte ich mich auf den Weg nach oben. Ein markerschütterndes Heulen bohrte sich durch die Wand und übertönte das restliche Jammern. Ich holte tief Luft und lief weiter. Hätte ich genug Blut zum Spenden gehabt, dann hätte ich am liebsten jeden einzelnen der Patienten hier damit geheilt, aber wenn ich bei dem Versuch sterben würde, wäre auch keinem geholfen. Meredith zu retten hatte mich schon dermaßen geschwächt, dass ich wieder für einen Tag im Krankenhaus gelandet war. Falls Dads neuer Impfstoff wirkte, wäre es vielleicht sowieso egal. Denn dann würde bald niemand mehr krank werden.
    Als ich aus dem Treppenhaus kam, stand Nell gerade im Flur und sprach mit einem der Freiwilligen. Beide hatten sich Stoffstreifen um die untere Gesichtshälfte gebunden. Nells hob sich strahlend weiß von
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