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Und die Großen lässt man laufen

Und die Großen lässt man laufen

Titel: Und die Großen lässt man laufen
Autoren: Per Wahlöö Maj Sjöwall
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ein Kind, nicht wahr?« fragte er.
    »Ja, Ursula. Sie ist in einem Ferienheim. Auf Barnens ö.«
    »Seit wann wohnen Sie hier?«
    »Seit April«, sagte sie und zog an der Zigarette, bis nur noch der Filter übrig war. »Aber ich werde wohl nur bis zum Herbst hier wohnen dürfen. Die Wirtin mag die Kinder nicht. Weiß der Teufel, wo wir dann wohnen sollen.«
    »Arbeiten Sie jetzt?« fragte Kollberg.
    Die Frau warf den qualmenden Filter auf die Untertasse. »Ja, ich arbeite bei der Frau, der das Haus gehört. Also dafür, daß ich hier wohnen kann, mache ich bei ihr sauber, kaufe ein, koche für sie, wasche und pflege sie. Sie ist alt und kann nicht mehr allein Treppen steigen; wenn sie auf die Straße will, muß ich ihr helfen. Unter anderem.«
    Kollberg nickte und zeigte auf eine Tür direkt gegenüber von der Außentür. »Wohnen Sie da drinnen?«
    »Ja«, sagte die Frau kurz. »Dort wohnen wir.«
    Kollberg erhob sich und öffnete die Tür. Das Zimmer maß etwa drei mal fünf Meter. Das Fenster ging auf den düsteren Hof hinaus. An den beiden Längswänden standen Betten. Unter einem von ihnen befand sich ein weiteres niedriges Bett zum Herausziehen. Eine Kommode, zwei Stühle, ein klappriger Tisch und ein Flickenteppich vervollständigten die Einrichtung.
    »Es ist nicht sehr groß«, sagte Eva Svensson hinter ihm. »Aber wir dürfen uns in der Küche aufhalten, wann wir wollen, und die Kinder können ja auf dem Hof spielen.«
    Kollberg kehrte an den Küchentisch zurück. Er sah die Frau an, die mit dem Zeigefinger auf dem Plastetuch Männchen malte, und sagte: »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir erzählen würden, wie es Ihrem Mann und Ihnen in den letzten Jahren ergangen ist. Ich weiß, daß Sie geschieden sind oder getrennt leben, aber wie war es davor? Er war ja längere Zeit arbeitslos, nicht wahr?«
    »Ja, er wurde vor bald zwei Jahren entlassen. Nicht etwa, weil er irgend etwas angestellt hätte, sondern die Firma wurde einfach stillgelegt. Es flogen alle raus. Die Firma rentierte sich nicht, oder wie das heißt. Danach bekam er einfach keinen Job mehr. Es war nichts Vernünftiges zu finden, will ich damit sagen. Vorher ging es ihm recht gut. Er war kaufmännischer Angestellter, hatte aber keine ordentliche Ausbildung, und alle Jobs, um die er sich bewarb, gingen an Leute mit besserer Ausbildung.«
    Kollberg nickte. »Wie lange war er schon bei dieser Firma, als sie aufgelöst wurde?«
    »Zwölf Jahre. Und davor war er in einer anderen Firma mit demselben Chef gewesen. Viktor Palmgren. Nun ja, er war nicht direkt der Chef, aber die Firma gehörte ihm. Bertil arbeitete dort im Lager, bis er anschließend Auslieferungsfahrer wurde. Nach einiger Zeit wurde er ins Büro der Firma versetzt, die dann stillgelegt wurde. Die andere gibt es, glaube ich, auch nicht mehr.«
    »Wie lange waren Sie verheiratet?«
    »Wir haben Pfingsten 1959 geheiratet.« Sie biß ein Stück von dem halb aufgegessenen Butterbrot ab, sah es an, ging zum Spültisch und warf es in den Mülleimer. »Also achteinhalb Jahre.«
    »Wann zogen Sie nach Bollmora?« fragte Kollberg.
    Die Frau blieb am Spültisch stehen und stocherte mit einem Fingernagel in den Zähnen. »Im Herbst Sechsundsechzig. Davor wohnten wir in der Västmannagatan. Das war eine Dienstwohnung, denn das Haus gehörte diesem Direktor Palmgren. Dann wollte er das Haus instand setzen lassen und Büros aus den Wohnungen machen, und wir mußten in dieses neue Haus ziehen, das er gebaut hatte. Das sah natürlich viel schöner aus, aber dafür mußten wir auch eine unglaubliche Miete zahlen. Als Bertil entlassen wurde, glaubte ich, daß wir ausziehen müßten, aber das brauchten wir nicht. Erst später, und das aus ganz anderen Gründen.«
    »Aus welchen Gründen?« fragte Kollberg.
    »Na ja, weil Bertil trank und so«, sagte sie zögernd. »Und der Nachbar unter uns beschwerte sich, weil wir angeblich immer zuviel Krach machten. Wir machten aber nicht mehr Krach als die anderen Mieter auch. Das Haus war so hellhörig, daß man jedes Kindergeschrei und jedes Hundebeilen hörte. Wir konnten sogar Plattenmusik aus den unteren Stockwerken hören. Wir glaubten, die Leute über uns hätten ein Klavier, bis wir mal zufällig hörten, daß das Klavier drei Etagen höher stand. Und die Kinder durften nicht im Haus spielen. Jedenfalls wurden wir im Herbst auf die Straße gesetzt.«
    Die Sonne schien jetzt ins Zimmer. Kollberg holte sein Taschentuch hervor und wischte sich die Stirn.
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