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Umzug ins Glück

Umzug ins Glück

Titel: Umzug ins Glück
Autoren: dtv
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schon wieder zwei Kilo
     drauf und Probleme, den Reißverschluss zuzumachen.
    Aber in letzter Zeit hatte ich den Eindruck, als hätte ich abgenommen. Meiner Waage, die das auch behauptete, traute ich ja
     nicht, aber es wäre einen Versuch wert. Zögernd zog ich das Kleid hervor. Es sah immer noch toll aus, mit einem asymmetrischen
     Ausschnitt und diesem raffinierten Schnitt, der jedoch völlig versagte, wenn der Reißverschluss nicht zuging. Es wäre sehr
     frustrierend, wenn das jetzt wieder passierte, aber ich zwang mich zu dem Experiment.
    Der Einstieg von unten ließ sich gut an. Ich navigierteproblemlos Oberteil und Mittelstück über meine Hüften und schlüpfte schon mal in die Ärmel. Aber erst jetzt kam der Augenblick
     der Wahrheit, bei der Frage, ob meine Arme genug Spiel hatten, um das Kleid über die Schultern zu streifen und anschließend
     noch nach hinten greifen zu können, um den Reißverschluss zu fassen. Doch, das ging. Und ohne dass ich mich wie eine Hulatänzerin
     hin- und herwinden musste, ließ er sich sogar nach oben ziehen.
    Kritisch betrachtete ich mich im Spiegel, aber da war nichts falsch. Keine Naht klaffte peinlich, um mir erst mehr Spielraum
     vorzugaukeln und dann eine größere Reparatur erforderlich zu machen. Das Kleid saß, wie es sollte. Ich war total begeistert
     und gleichzeitig etwas ratlos. Ich hatte weder eine Wunderdiät gemacht noch gehungert. Natürlich hatte ich viel körperlich
     gearbeitet, dafür aber auch nicht schlecht gespeist – wenn man mit Nick zusammen aß, kam eine rasch zwischendurch eingeworfene
     Wurstscheibe nicht in Frage. Aber vielleicht war es gerade das? Oder lag es daran, dass ich grundsätzlich nicht mehr so viele
     Trösterchen brauchte, weil ich Nick hatte?
    Normalerweise brauche ich immer viel länger für die Lösung der Kleiderfrage, deshalb hatte ich jetzt ordentlich viel Zeit
     für die Auswahl der Accessoires und das Schminken. Ich war ganz zufrieden mit mir, als ich schließlich die Treppe herunterkam.
     Jedenfalls zufriedener als mit Jan Hörnum, der sich heute für das Modell »Hanseatic« entschieden hatte, mit blauem zweireihigem
     Blazer mit Goldknöpfen, weißem Hemd und einem Paisleyhalstuch. Natürlich passend dazu das Einstecktüchlein. Aber er war nun
     mal kein Senator, und das sah man ihm an.
    Nick kam uns abholen, in einem klassischen dunklenAnzug, was mir viel besser gefiel. Es konnte natürlich auch daran liegen, dass mir Nick in jeder Beziehung besser gefiel.
     »Lass dich mal anschauen«, sagte er und knipste zusätzliches Licht in der Garderobe an.
    Ich drehte mich einmal um meine eigene Achse. »Na? Kann ich so gehen?«
    »Viel besser noch«, grinste er, »du kannst so bleiben.« Er half mir in meine Jacke. Dann warteten wir noch auf Jan Hörnum,
     der plötzlich entschieden hatte, dass er noch seine Brille putzen musste, und fast pünktlich kamen wir im Speisesaal der Residenz
     Silvretta an.
    Dieser Speisesaal war schon ein Erlebnis für sich. In normalen Altersheimen sind die Räume hell, freundlich und funktional.
     Hier hingegen hatte man den Eindruck, in Neuschwanstein auf eine Audienz zu warten. Auf rosenholzfarbigem Grundton prangten
     weiße Stuckelemente an der Decke, und die Wände wurden durch marmorierte Halbsäulen unterbrochen. Spiegel in Goldrahmen, Kerzenleuchter
     und zwei barocke Gemälde dekorierten die einzelnen Flächen, die hohen Fenster wurden durch geraffte Gardinen eingerahmt, auf
     dem Fußboden war echtes Parkett verlegt anstelle des üblichen Heimlinoleums. Es sah eher aus wie in einem noblen Restaurant,
     und die Leute an den bereits besetzten Tischen benahmen sich auch so. Nur dass sie alle ziemlich alt waren. Wir senkten vermutlich
     den Durchschnitt radikal.
    Nick sah sich prüfend um. »Ich wette, das war ein echtes Kunststück, das alles mit den Feuerschutzbestimmungen und diesem
     Wust von Vorschriften unter einen Hut zu bringen«, sagte er.
    Tante Paula rollte gut gelaunt auf uns zu. »Da seid ihr ja. Und was habt ihr euch schick gemacht!«
    Jan Hörnum küsste ihr galant die Hand. »Das tun wir doch gern für Sie, gnädige Frau.« Er überreichte ihrformvollendet ein kleines Päckchen. »Alles Gute zum Umzug.« Geschmeichelt packte sie es aus: eine Videokassette mit zwölf
     Folgen von ›Amrum Ahoi‹.
    »Ich weiß ja, dass Sie Ihren Videorekorder mitgenommen haben«, sagte er. Vermutlich hatte er ihm in der Zwischenzeit gefehlt,
     bis er zu mir zog. Fernsehen schien nämlich eins
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