Umwege zum Glück
ganze Lübecker Verkehr, und es hieß scharf aufpassen. Autobahnfahren bei Nässe verlangt Konzentration, und wir schwiegen beide.
Anke sagte mir, wann ich abbiegen mußte, und als wir am Stadtrand von Hamburg waren, versicherte sie, jetzt könne sie mit der Straßenbahn weiterfahren, was ich natürlich ablehnte. Ich wollte sie doch bis zur Tür bringen.
„Aber dann kommst du mit und guckst dir meinen Sohn an, nicht wahr?“
„Das möchte ich wahnsinnig gern, aber nur ein paar Minuten. Es fangt ja schon an, dunkel zu werden, und der Himmel weiß, ob wir auch Nebel kriegen!“
Ich war nie selbst im Hamburger Stadtgebiet gefahren und mußte immer noch sehr aufpassen. Endlich hielten wir auf einem Parkplatz ein paar Minuten von unserem Ziel entfernt.
Als Anke an der Wohnungstür klingelte, hörten wir drinnen eine Stimme: „Ach, da ist sie – komm, Peterchen, Mutti ist da!“
Ein kleiner blonder Knirps kam uns auf dicken, noch etwas unsicheren Beinen entgegengelaufen. Angezogen war er wie ein kleiner Prinz, in dunkelblauem Samt mit weißem Krägelchen und weißen Manschetten. Er war zum Fressen!
„Peterchen, mein Schatz!“ Schon hatte Anke ihn auf dem Arm, und ihre Augen leuchteten.
Die Schwiegereltern waren reizend. Wie lieb von mir, daß ich Anke gefahren hätte, und jetzt würden wir gleich Kaffee trinken – meine Proteste nützten überhaupt nichts. Kurz darauf saßen wir bei Kaffee und selbstgebackenem Kuchen vor dem Kamin. Da stand ein Bild von einem jungen Mann. Er war außergewöhnlich hübsch. Wenn er auch so charmant gewesen war – ja, dann konnte ich beinahe verstehen, daß Anke – Dann bekam ich zu wissen, was das Wunderkind sich in der vergangenen Woche geleistet hatte – mein Vater hätte ausgefressen gesagt –, und die meisten von seinen Schandtaten wurden als erstaunliche Willensäußerungen, Wissensdurst und Erfindungsgeist dargestellt.
Die arme Anke! Sie hatte recht, sie würde nachher sehr viel „gradebiegen“ müssen. Aber ich fühlte mich überzeugt daß sie das schaffen würde, ohne seinen Willen zu brechen, seinen Wissensdurst zu löschen oder seinen Erfindungsgeist lahmzulegen.
Es war natürlich viel zu spät, als ich endlich aufbrach. Anke brachte mich zum Parkplatz, und als ihr Sprößling lautstark zu verstehen gab, daß er mitwollte, wurde ihm ein von Oma gemachtes bildschönes Mäntelchen angezogen, dazu Mützchen und Handschuhe – von Oma in einem komplizierten Muster gestrickt.
„Es graut mir vor der Autobahn“, sagte ich. Das Wetter war widerlich, es nieselte, und der gefürchtete Nebel fing an, seinen grauen Schleier auszubreiten.
„Fahr doch die alte Strecke!“ schlug Anke vor. „Nichts ist einfacher, du biegst in die erste Straße links ein, da siehst du schon die gelben Schildchen mit der Nummer 4. Du fährst ihnen nach, bis du in Eidelstedt bist, da ist die Straße nach Kiel ganz deutlich beschildert. Dann vermeidest du auch die scheußliche Bundesstraße 404.“
Ich bedankte mich, der Kleine winkte und sagte „Widesen Tanteni“ und Theodor und ich brausten los.
Die Strecke war einfach genug zu finden, aber ich hatte das Gefühl, daß sie mit lauter roten Ampeln gespickt war. Immerzu mußte ich halten und warten, der Motor lief und fraß Benzin. Gott sei Dank, daß ich heut vormittag die Strumpfhosen nicht kaufen konnte! Dieser Tatsache war es zu verdanken, daß ich einen Zehnmarkschein in der Tasche hatte und also ein bescheidenes Quantum Benzin tanken konnte, wenn es notwendig werden würde.
Da hatten wir endlich die Ausfahrt aus dem Kreisverkehr in Eidelstedt. Jetzt fuhr ich auf einer schönen, mehrspurigen Straße, wenig Verkehr, o wie herrlich!
Und dann hatte ich mich doch verfahren!
Erst ziemlich spät entdeckte ich, daß ich auf der Straße nach Pinneberg war!
Später war es mir allerdings ein Trost zu erfahren, daß ein versierter Autofahrer wie Frau von Waldenburgs Sohn dasselbe erlebt hatte. Aber in diesem Augenblick war ich nur ziemlich verzweifelt. Runter von der schönen Straße, zurück nach Eidelstedt, wieder in den Kreisverkehr rein – und dann war ich endlich auf dem richtigen Weg.
Theodor räusperte sich und bekam einen Schluckauf. Ich stellte auf Reserve und versuchte gleichmäßig zu fahren, nicht allzu schnell – das konnte ich wegen des Nebels sowieso nicht – und auch nicht zu langsam. Wirtschaftlich fahren, glaube ich, nennt man es.
Aber ich hatte noch mindestens 50 Kilometer vor mir. Na, vielleicht würde ich es
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