Umarme mich, aber rühr mich nicht an - Die Körpersprache der Beziehungen. Von Nähe und Distanz
Verlangen nach Umarmung oft mit Kampfeslust. Sie konkurrieren miteinander, sie raufen miteinander, und die körperliche Nähe schafft eine neuartige Befriedigung, indem sie sich als Mann zu bestätigen suchen und eine Art Lebenskampf aufzunehmen bereit sind. Auf einmal gewinnt die Frage nach dem Stärkeren die Oberhand: Wer ist der Stärkste? Wer übernimmt die Führung? Gleichzeitig bietet der sportliche Wettkampf ganz legitime Anlässe zur Umarmung. Denn bei jedem Erfolg liegt man einander in den Armen. Das Übermaß solcher Umarmungen lässt sich reduzieren, indem man einander gegenseitig auf die Schultern klopft. Es relativiert die übertriebene Nähe.
Männliche Jugendliche suchen im Sport häufig die Gelegenheit ihre Männlichkeit zu bewähren oder überhaupt herauszufinden. Eine neue Art der Körperlichkeit wird entdeckt. Umarmungen nach dem Erfolg gehören dazu. Körperliche Nähe zwischen Männern ist oft sozial nicht akzeptiert, findet ihre Legitimierung jedoch bei starken emotionalen Ausbrüchen, z. B. bei bestimmten Sport- und Kampfarten.
Die gemeinsame Freude am Erfolg muss sich entladen können. Zu den Vorteilen von Mannschaftssportarten gehört, dass man die Freude mit anderen teilen kann. Und die Nähe zum Sportkameraden drückt sich in der Umarmung aus und wird sozial akzeptiert.
Die Abschirmung von der nahen Umgebung bleibt bei Erwachsenen genauso wie in der Pubertät.
Jede erwünschte Berührung schafft Nähe. Achten wir darauf, ob der andere die Muskeln unter unserer Berührung leicht zusammenzieht und vielleicht auch noch den Blick von uns abwendet und respektieren wir, dass ihm in diesem Moment die Nähe nicht mehr angenehm ist.
Das kleine Kind würde sich entweder verbal zur Wehr setzen oder seinen Körper benutzen, indem es sich mit angehobener Schulter und ausgestrecktem Arm zu befreien sucht. Mit beiden Händen schiebt es den Erwachsenen von sich weg. Verbal würde das vielleicht heißen: »Halt mich fest und lass mich herunter!« Von einem Heranwachsenden bekäme man wahrscheinlich lediglich zu hören: »Lass mich in Ruhe!«
Die Entdeckung der Distanz - Die Pubertät
Der junge Mensch erfährt mit dem Eintritt in die Pubertät ein rasch ansteigendes Freiheitsbedürfnis. Noch ist die Zeit der Gewöhnung und der Gewohnheiten fern. Zunächst gilt es vielmehr, sich seiner selbst sicher zu werden. Die Suche nach der eigenen Identität ist selbstverständlich auch angetrieben von den physiologischen Veränderungen, die diese Entwicklung begleiten und die den Jugendlichen zunächst verwirren. Bei den Mädchen wachsen nun Haare auf Körperteilen, die vorher glatt waren, der Busen entwickelt sich. Bei den Jungen geschieht Ähnliches, wenn das Schamhaar erscheint und sich der Körpergeruch verändert. Die hormonelle Aktivität wird spürbar. Sie erkennen sich eigentlich nicht wieder. Die bisherige Sicherheit des Selbstgefühls geht ihnen verloren, weil sie sich nun täglich anders fühlen. Die Unsicherheit darüber, wer sie eigentlich sind, die Unfähigkeit, sich selbst nahezukommen, sich mit sich selbst zurechtzufinden, schafft Probleme und fördert die Auseinandersetzung mit der Umwelt als eine Art Blitzableiter. Die ganze Weltanschauung seiner Umwelt passt dem jungen Menschen nicht mehr. Er verlangt nach einer eigenen Weltsicht, nach einem eigenen, von niemand anderem je betretenen Weg, seine Zukunft zu schaffen. Dazu muss er sich durch Widerstand von seinen Eltern und Lehrern distanzieren, um wieder, und diesmal ohne fremde Hilfe, zu sich selbst zu finden. Erst wenn der Körper den angedeuteten hormonellen Wachstumsprozess vollendet hat, kann nach und nach auch die seelische Neuorientierung gelingen. Ist dieser Punkt erreicht, wird es dem jungen Menschen auch wieder möglich sein, die Abhängigkeit von der übrigen Welt zu akzeptieren, ohne sich selbst wieder zu verlieren. Es ist der Beginn einer neuen Phase von Kommunikation. Wer seinen inneren Standpunkt gewonnen hat, sich seiner selbst sicher ist, lernt daraus, auch besser mit dem Du umzugehen. Und wer die Nähe zu sich selbst einmal kennengelernt hat, wird auch wieder zu sich selbst zurückkehren können, um zu überprüfen, was er gewonnen hat und ob sich der eigene Standpunkt in der Welt bewähren konnte. Das Wechselspiel zwischen dem Ich und dem Du, der Nähe und der Distanz kann von Neuem beginnen. Jener feste Punkt in mir gibt mit die Sicherheit, mich dem Du zu nähern, das mir Gemeinsamkeit bietet: das sind Freunde und Partner,
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