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Überleben auf Partys: Expeditionen ins Feierland (German Edition)

Überleben auf Partys: Expeditionen ins Feierland (German Edition)

Titel: Überleben auf Partys: Expeditionen ins Feierland (German Edition)
Autoren: Oliver Uschmann , Sylvia Witt
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haben. Ein Reisender, der längst schon in Hannover hätte aussteigen müssen, sitzt apathisch auf dem schmalen Polster. Niemand steigt ein oder aus, während die zwanzig Kegler gequetscht wie die Mastputen rund um die kleine Bar stehen. Der Schaffner passiert längst nicht mehr diesen Wagen, da ihn die Kegler ohnehin nicht durchließen. Die geübten Schwarzfahrer wissen das. Sie warten auf Bahnsteigen, bis ein Zug mit Kegelklub im Bistro kommt und haben so eine fünfzigprozentige Chance, die gesamte Restroute hindurch nicht kontrolliert zu werden – je nachdem, in welcher Hälfte des unpassierbar gewordenen Zuges der Kontrolleur sich aufhält.
    »Weißt du, was du bist, Richard? Ein Ferkel bist du!«, dröhnt die menschliche Vuvuzela.
    »Erzähl mir mal was Neues, Udo!«, knattert Richard zurück, noch ein Schlag Volumen über dem Gemurmel. Gelächter brandet auf. Sturm. Flut. Als wäre die beste Pointe der Welt gefallen.
    »Mach noch mal zwanzig Bier hier in dem Saftladen!«, schickt Udo eine Akustikbombe in Richtung Bar, und der Zugwirt zieht verschüchtert und hektisch die letzten Stielgläser vom Gestänge. Dem Kegelklub ist egal, was es kostet. Das hier ist kein Studentenverband. Das ist die arbeitende Bevölkerung auf dem Weg ins Partyhotel.
    Merke ➙ Der Gehalt des Gesprochenen verhält sich bei Keglern umgekehrt proportional zur Lautstärke. Sie selbst sind nicht fähig, die Dezibelzahlen zu bemerken, die ihre Brustkörbe und Kehlen hervorzubringen vermögen. Kommen sie schließlich an ihrem Zielort an, hinterlassen sie eine Schneise der Verwüstung aus geplatzten Trommelfellen und zerschundenen Seelen sensibler Sitzbankdrücker.
    Richard hat seine schwache Minute. Im Foyer des riesigen Hotels ist er in einen Sessel gesunken und starrt vor sich hin, sein Blick so debil wie der eines bekifften Dackels, der vom Knopf eines Sofapolsters hypnotisiert wird. Udo und Sabine melden die Gruppe an. Sabine ist ohne ihren Mann hier und Udo ohne seine Frau. Nach dem vierten Bier im Intercity war beiden klar, dass sie an diesem Wochenende miteinander Spaß haben werden. Sabine trägt Dauerwelle und eine Jeans mit ausgefransten Schnitten an den Oberschenkeln, wie man sie in den 80ern schon fertig zerrissen herstellte. Ein Textil, über welches die damaligen Eltern sagten: »Bist du so arm, dass du dir nicht mal eine ganze Hose leisten kannst?« Außerdem hat sie Sommersprossen. Und dieses leicht Ordinäre im Blick, das Udo anmacht, während sie gar nicht genau weiß, was sie an ihm findet. Vielleicht einfach nur, dass er überhaupt feiern fährt, während ihr Mann stets arbeitet und deswegen nichts dagegen hat, wenn sie sich in einem Kegelklub austobt. Udos kulturbeflissene Frau wiederum braucht »ihre Freiheit«, das ist ihm recht, sie ist mit Freundinnen unterwegs und schaut sich am Wochenende irgendeine Stadt an, wo es viel altes Fachwerk und Kirchen gibt.
    »So, Sie haben dann die gesamte zweite Etage für sich«, sagt die Rezeptionistin und lächelt professionell. Für Udo ist es ein konspiratives Lächeln, ein Lächeln, das sagt: Mir ist schon klar, dass Sie diese Etage während Ihres Aufenthalts in eine Mischung aus Puff und Jugendherberge mit offenen Türen verwandeln. Udo fühlt sich gut. Die anderen aus dem Klub suchen sich im Foyer bereits auch schon die Geschlechtspartner für die nächsten zwei Nächte aus. Es geht zu wie auf dem Basar. Die meisten wählen Koituskameraden aus den eigenen Reihen, ein paar Anspruchsvolle laufen hingegen gerade auf die Keglerinnen eines anderen Klubs zu, der in diesem Augenblick durch die aufzischenden Türen tritt.
    Udo fragt, ob er eines der Bonbons in der Schale auf der Theke nehmen dürfe, und die Rezeptionistin nickt. Er wirft das Karamell gezielt nach Richard und trifft ihn an der Stirn. Der Dösende erwacht aus seiner debilen Dackelhypnose.
    »Richard, du Ferkel! Verpenn hier nicht die ganze Action!«
    Richard ist klar, was Udo mit der Action meint. Die Partnerwahl fürs Wochenende findet hier und jetzt statt. Wenn er jetzt nicht zugreift, wacht Richard am Ende um zehn im Foyersessel auf und kriegt nur noch die sächsische Magermaus ab, die schweigend neben ihm auf dem zweiten Sitzmöbel hockt und mit so schmalen Lippen lächelt, dass sich ein Kuss bei ihr anfühlen muss, als sei er mit dem Mund zwischen zwei Gitarrensaiten hängen geblieben.
    Richard rappelt sich auf, sieht sich um und erspäht ein fränkisches Vollweib mit feurigem Teint. Er winkt ihr zu. Sie lächelt
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