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Über Nacht - Roman

Über Nacht - Roman

Titel: Über Nacht - Roman
Autoren: C.H.Beck
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ihr. Sie mußte nicht mehr zurück, vermochte in die andere Richtung zuschauen. Die Lücken wurden jetzt kleiner. Es zeigten sich einzelne Grashalme. Die Sperlingsvögel konnten ihren Schattenschutz im Innern der Büsche verlassen.
    Â«Die Niere ist gleich angesprungen», sagte Irma zu Richard. Sie strich Florian mit dem Handrücken über die Wange. Was für ein Glück, daß wir einander wiederhaben, dachte sie. Er saß auf ihrem Schoß und zog sich am Bettbügel hoch, dabei stützte er sich mit einem Fuß auf der Matratze ab. Als er den Bügel losließ, schnellte die Aufzugsstange gegen Irmas Kopf. Auf dem Leintuch war der Abdruck seiner Schuhsohle zu sehen.
    Richard erhob sich aus dem Sessel, packte den Kleinen am Handgelenk. «Kannst du nicht zwei Sekunden Ruhe geben.» Der Mundschutz dämpfte die Worte, sie klangen fremd und in ihrer Unklarheit weniger bedrohlich.
    Florian bewegte sich hin und her, und Irma hatte Mühe, ihn von der frischen Wunde fernzuhalten.
    Â«Gib Mama einen Kuß, mein Liebling», sagte sie. Sein Mundschutz war verrutscht, er bedeckte nur noch das Kinn, ein Stück des Halses.
    Â«Was soll das?» Richard hielt Florian zurück. «Willst du das Organ gleich wieder loswerden?»
    Â«Ãœbertreib nicht», sagte Irma, «die rennen hier alle ohne Schutz herum.»
    Â«Du bist so leichtsinnig.»
    Genauso leichtsinnig wie du, wollte Irma sagen, aber sie schwieg. Richard hatte während seiner Beziehung mit dem Medizinstudenten aus Steyr keine Kondome benützt. Die beiden waren zwei Jahre zusammengewesen, hatten gleich nach ihrer ersten Begegnung einen Aidstest machen lassen und sich gegenseitig die Treue geschworen. Irma war damals entsetzt gewesen, sie hatte Richard dumm und naiv genannt. Später war ihr klargeworden, daß er solche Vertrauensbeweise einforderte,um Kontrolle auszuüben. Er brauchte eine sichere Beziehung im Hintergrund, einen verläßlichen Davide, damit er fremdgehen konnte.
    Â«Diesen Sommer fahren wir zwei ans Meer», flüsterte Irma Florian ins Ohr; sie kämmte seine Haare mit ihren Fingern. «Morgen», wiederholte Florian laut und sah dabei Richard an, «fahren Mama und ich ans Meer.» Er kletterte vom Bett runter und zeigte, die Arme über dem Kopf, wie er ins Wasser tauchen werde. «Ohne Schwimmflügel», sagte er, «und Davide kommt auch mit.» Er drehte sich um, ging rüber zum Fenster und versuchte sich am Heizkörper hochzuziehen, war aber zu klein, um den Sims zu erreichen.
    Â«Ich glaub’, wir gehen jetzt», sagte Richard, und zu Irma gewandt: «Morgen paßt Davide auf ihn auf. Am Wochenende nehmen ihn die Eltern mit ins Waldviertel. Weißt du schon, wann du rauskannst?»
    Â«Hängt vom Medikamentenspiegel ab. Er ist noch immer nicht richtig eingestellt», sagte Irma, «vielleicht Montag oder Dienstag.» Wenn nur alles gutgeht, dachte sie.
    Â«Ãœbrigens», Richard hatte den Kleinen schon auf den Gang geschoben, «kein Sex. Ich hab’s nachgelesen. Damit du Bescheid weißt.» Er zwinkerte mit den Augen, warf ihr einen Kuß zu.
    Â«Für dich wäre das doch eine Strafe», sagte Irma.
    Nachdem Richard und Florian das Zimmer verlassen hatten, schloß Irma erschöpft die Augen. Die beiden waren schon auf dem Gang gewesen, da hatte sich Florian schreiend aus Richards Armen gestrampelt, war wieder ins Zimmer zurückgekehrt, um zu verkünden, er bleibe bei Mama. Er hatte sich am Leintuch festgekrallt und zu weinen begonnen, als ihn Richard hochheben wollte. In diesem Moment war Irmas Bettnachbarin hereingekommen. Sie hatte eine Weile mit angesehen,wie Irma auf den Kleinen einzureden versuchte, dann war sie auf Florian zugegangen und hatte ihm von einem Buch mit dem Titel
Anton und die Mädchen
zu erzählen begonnen. Florian war sofort zutraulich gewesen, und wenig später hatte er sich zu der Frau aufs Bett gesetzt und in ihr Notizbuch gemalt. Er war nach einer Weile ohne Widerrede mit Richard nach Hause gegangen.
    Die Frau, hatte Irma nachher erfahren, war bereits elf Jahre transplantiert; sie hatte die Niere von ihrer Mutter bekommen. Bei den letzten Routineuntersuchungen war Eiweiß im Harn festgestellt worden, kein gutes Zeichen.
    Irma tippte Mariannes Nummer ins Telephon, legte wieder auf, noch ehe wer abheben konnte. Obwohl eine knappe Woche vergangen war, hatte sich Marianne nicht gemeldet. Gewiß
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