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Über Himmel und Erde: Jorge Bergoglio im Gespräch mit dem Rabbiner Abraham Skorka - Das persönliche Credo des neuen Papstes (German Edition)

Über Himmel und Erde: Jorge Bergoglio im Gespräch mit dem Rabbiner Abraham Skorka - Das persönliche Credo des neuen Papstes (German Edition)

Titel: Über Himmel und Erde: Jorge Bergoglio im Gespräch mit dem Rabbiner Abraham Skorka - Das persönliche Credo des neuen Papstes (German Edition)
Autoren: Jorge (Papst Franziskus) Bergoglio , Abraham Skorka
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Premierminister. 1994 erhielt er zusammen mit dem Palästinenserführer Yassir Arafat den Friedensnobelpreis für seine Bemühungen, Frieden zwischen Israelis und Palästinensern zu stiften (Oslo-Abkommen 1993). 1995 wurde er von einem jüdischen Studenten aus rechtsradikalen Kreisen erschossen.

11. Über Sterbehilfe
    Skorka : Die Medizin ist eine löbliche Sache, weil sie die Lebensbedingungen des Menschen verbessert, das steht außer Frage. Aber Vorsicht! Man kann es mit den medizinischen Maßnahmen auch übertreiben. Wenn man ein Leben künstlich verlängert, wenn man die Angehörigen unnötig belastet, indem man jemanden, den die Ärzte längst aufgegeben haben, an alle möglichen Schläuche hängt, nur weil Herz und Atmung noch irgendwie funktionieren, hat das nicht den geringsten Sinn. Man soll das Leben verlängern, ja, aber bitte schön unter lebenswerten Bedingungen.
    Bergoglio : Unsere Moral besagt ebenfalls, man solle in den Fällen, in denen das Ende bereits vorgezeichnet ist, das tun, was notwendig und üblich ist. Die Lebensqualität muss gesichert werden. Die Kraft der Medizin liegt bei Patienten im Endstadium nicht so sehr darin, dass jemand drei Tage oder zwei Monate länger lebt, sondern dass der Organismus so wenig wie möglich leidet. Man ist nicht verpflichtet, das Leben durch außergewöhnliche Maßnahmen zu erhalten. Das kann der Würde der Person zuwiderlaufen. Etwas anderes ist die aktive Sterbehilfe; das ist töten. Ich glaube, heute gibt es eine verdeckte Sterbehilfe: die Krankenversicherungen zahlen bis zu einer bestimmten Behandlung und dann heißt es »möge Gott dir beistehen«. Der alte Mensch wird nicht so versorgt, wie es sein sollte, er wird vielmehr zu Wegwerfware. Manchmal werden dem Patienten Medikamente und normale Versorgung vorenthalten, und das bringt ihn allmählich um.
    Skorka : Wir sind uns absolut einig darüber, dass man nicht gegen die Würde des Menschen handeln darf. Sterbehilfe ist ein schwieriges Thema, weil es Menschen gibt, die so unwürdig vor sich dahinvegetieren, dass es verständlich erscheint, wenn sie um die Verkürzung ihres Lebens bitten. Aktive Sterbehilfe aber bedeutet, dass wir absolute Macht über unseren Körper und unsere Existenz einfordern, und genau aus diesem Grund lehnen wir sie ab. Weil wir nämlich glauben, dass nur einer Macht über Leben und Tod haben sollte, trotz des freien Willens, den er uns gegeben hat, und das ist Gott. Wer sich selbst tötet, sagt, dass ihm das Leben voll und ganz gehört, dass er selbst über sein Leben und seinen Tod bestimmen kann. Aber das heißt nichts anderes, als Gott zu leugnen.
    Bergoglio : Es gab eine Zeit, da wurde für einen Selbstmörder keine Begräbnisfeier gehalten, weil er nicht weiter auf das Ziel zuging; er setzte dem Weg ein Ende, wann er es wollte. Doch ich respektiere den Selbstmörder, es ist ein Mensch, der nicht die Oberhand über die Widersprüche gewinnen konnte. Ich lehne ihn nicht ab. Ich überlasse ihn den Händen der Barmherzigkeit Gottes.
    Skorka : Beim Thema Selbstmord gibt es im Judentum zwei Lager. Das eine sagt, dass ein Selbstmörder an einem besonderen Ort begraben werden muss und dass bestimmte Gebete zu seinem Andenken nicht gesprochen werden dürfen. Das andere Lager sagt, dass ein Selbstmörder vielleicht in allerletzter Sekunde, wenn er bereits von der Brücke gesprungen ist, seine Tat bereut; und dass man den Selbstmord letztlich als einen unfreiwilligen Akt begreifen muss und folglich nicht bestrafen sollte. Andererseits wirkt ein Selbstmord ansteckend und ist schon deshalb zu verurteilen. Wenn ich mit einer Familie sprechen muss, in der jemand Selbstmord begangen hat, sage ich immer, dass der Selbstmörder krank war, nicht bei Sinnen, dass er nicht die leiseste Ahnung hatte, was er da tat. Selbstmord ist die schlimmste Folge einer Depression, eines Ungleichgewichts von Botenstoffen im Gehirn. Ein Depressiver meint, aus dem Leben scheiden zu müssen, nicht mehr leben zu können. Also versuche ich, sein Andenken zu wahren bei jenen, die untröstlich sind und sich fragen: Habe ich ihm denn so wenig bedeutet, dass er mich einfach so verlassen hat?
    Bergoglio : Mir gefällt die Interpretation als Krankheit. Es kommt ein Moment, da schafft man es nicht mehr, Herr über alle Entscheidungen zu sein. Ich interpretiere den Selbstmord lieber so und nicht als einen Akt des Hochmuts. Doch ich möchte gern auf die Sterbehilfe zurückkommen: Ich bin überzeugt davon, dass es heutzutage
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