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Ueber Gott und die Welt

Ueber Gott und die Welt

Titel: Ueber Gott und die Welt
Autoren: Robert Spaemann
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nennt sich »die Wissenschaft«.
    In der holistischen Interpretation Quines ist Wissenschaft eine Totalität, die nichts außerhalb ihrer selbst zulässt. Sie ist so etwas wie ein gekrümmter Raum. Man kann geradeaus gehen, ohne jemals auf eine Grenze zu stoßen. Am Schluss kommt man am Ausgangspunkt wieder an. Die Wissenschaft setzt sich aus partikularen Wissenschaften zusammen, deren jede für die andere ein Außen darstellt, an welches jede Theorie ihre nicht gelösten Fragen abtritt. Das Objekt dieser totalen Wissenschaft ist nur Objekt, also träge Materie. Die Wissenschaft selbst hat sich an den Platz der transzendentalen Subjektivität von einstmals gesetzt. Sie gehört nicht zur Welt.

    2. Der Begriff der Erkenntnis selbst ist ebenso wie der Begriff der Wahrheit ein Begriff, dessen Implikationen normativ und nicht deskriptiv sind.
    Die Frage, ob ein bestimmter Bewusstseinszustand eine Erkenntnis ist oder nicht, hängt nicht von einer vollständigen objektiven Information über diesen Zustand ab. Irrtümer unterscheiden sich als subjektive Zustände nicht von wahren Meinungen. Das Wort »Erkenntnis« bedeutet nur wahre und wohlbegründete Überzeugungen, das heißt, der Begriff »Erkenntnis« impliziert einen Anspruch auf Legitimität, und diese Legitimität ist der hauptsächliche Gegenstand der Epistemologie. Subjektiv, als Überzeugung und als Hirnzustand, gibt es keinen Unterschied zwischen Erkenntnis und irriger Meinung.
    Aber in diesem Kontext bedeutet Legitimität nicht Nützlichkeit, und zwar auch dann nicht, wenn die Fähigkeit zu wirklichen Erkenntnissen nützlich ist für das Überleben der Wesen, die sie besitzen.
    Man kann das philosophische Missverständnis, das der naturalistischen Epistemologie zugrunde liegt, bei Konrad Lorenz gut studieren. Seinem Buch »Die Rückseite des Spiegels« ging ein Artikel voraus, der 1943 erschien und in dem Lorenz beansprucht, eine evolutionistische Erklärung der kantischen Formen a priori der Anschauung zu geben. Für Lorenz können diese Formen verstanden werden als Resultate eines Prozesses der Anpassung von Organismen. Es handelt sich um Schemata, die es einem Organismus erlauben, in nützlicher Weise auf seine Umwelt zu reagieren.
    Diese Interpretation verwechselt Kants Formen a priori mit inneren Dispositionen, also zum Beispiel mit den eingeborenen Ideen Descartes’, das heißt mit etwas, das empirisch konstatierbar ist – eine Interpretation, die Kant ausdrücklich zurückweist. Für Kant handelt es sich nicht um psychischeGegebenheiten, denn die Psychologie selbst ist nur möglich dank dieser Formen a priori.
    Das kantische Apriori ist kein psychologischer, sondern ein strikt epistemologischer Begriff. Eine Erkenntnis a priori ist eine Überzeugung oder Behauptung, die gerechtfertigt werden kann, das heißt deren Wahrheit erkennbar ist ohne Bezugnahme auf eine sinnliche Erfahrung. Das Subjekt einer solchen Erkenntnis kann letzten Endes nicht der empirische Mensch sein, kein psychologisches Ego, denn dieses Ego fällt selbst unter die Bedingungen der Formen a priori der inneren Anschauung. Wenn in der naturalistischen Erkenntnistheorie dieses transzendentale Ego ersetzt wird durch das empirische menschliche Subjekt und die Formen a priori durch eingeborene Qualitäten dieses Subjektes, dann kehrt das transzendentale Ich hinterrücks wieder, und zwar unter der Form eines abstrakten Subjekts, genannt »die Wissenschaft«, die in Wirklichkeit nicht Erkenntnis ist, nicht Wissen von konkreten Personen, sondern ein anonymer und abstrakter Prozess, der bei konkreten Subjekten hypothetisches Wissen generiert.
    Die moderne Wissenschaft ist per definitionem materialistisch. Einer ihrer Theoretiker, Daniel Dennett, schreibt, er sei nicht bereit, eine Debatte über den materialistischen Monismus zu führen. Dieser ist für ihn die Bedingung a priori jeder wissenschaftlichen Forschung und muss deshalb verteidigt werden wie die Dogmen der Religion. Aber damit wird Wissenschaft selbst zu einer rein spirituellen und außerweltlichen Instanz. Das ist es, was ich Umschlag des Naturalismus in Spiritualismus nenne.
    Wir beobachten eine analoge Dialektik auf der Ebene der Moral. Wir haben es einerseits zu tun mit einer naturalistischen, das heißt materialistischen Anthropologie, für die der Mensch nur Natur ist und alle menschlichen Handlungen definiertsind durch ihre natürlichen, das heißt biologischen Funktionen.
    Moral ist selbst eine Funktion des Überlebens der
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