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Über den Missouri

Über den Missouri

Titel: Über den Missouri
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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unterscheiden von dem nassen Holz, aus dem es herausragte. Der zweite Posten verriet sich durch den Flintenlauf, dessen Mündung in einem Weidengebüsch auffiel. Der Indianer schob den Lauf des Schießeisens, das er zur Hand hatte, über den Rand der Mulde.
    Sein Schuß krachte in die Morgenstille hinein. Die Vögel flatterten erschreckt auf und suchten das Weite. Der Flintenlauf im Weidengebüsch, der getroffen war, verschwand, und der unsichtbare Schütze fluchte vernehmlich. Der zweite Posten schoß herauf, die Kugel pfiff vorbei. Tokei-ihto antwortete. Der braune Stiefel zuckte und suchte sich besser unter dem Holz zu decken. Der Dakota ließ sofort eine zweite Kugel folgen. Ein leises Stöhnen und mehrere schlechtgezielte Schüsse kamen als Erwiderung aus dem Versteck in der Bucht.
    Auch diese beiden Jäger, die verhältnismäßig die beste Deckung hatten, waren dem Dakota gegenüber im Nachteil. Er konnte auch sie aus der Höhe stets leichter beobachten als sie ihn. Die beiden verhielten sich von jetzt ab vollkommen ruhig. Am Tag konnten sie ihren dem Feind bekannten Platz nicht verlassen, ohne seinen Kugeln zum Opfer zu fallen, und es durfte sich auch niemand zu ihnen heranwagen, um ihnen zu helfen. Ihre Lage war nicht rosig.
    Der Häuptling wartete. Es wurde Mittag. Seine Gegner zeigten keine Lust, sich bei Tage weiter mit einem Scharfschützen einzulassen, der die beste Stellung des ganzen Geländes innehatte. Der Häuptling aber verwirklichte seinen Plan: Er hielt die Feinde hin. Tokei- ihto empfand kein persönliches Triumphgefühl dabei, aber er war befriedigt, daß es den weißen Skalpjägern und den indianischen Verrätern so schwerfiel, einen »roten Hund zu killen«.
    Der Häuptling hatte sich umgewandt und spähte über die endlose, in den Himmel hineinschwimmende Prärie gegen Süden zu. Der dunkle Strich, den die Fährte des Wanderzuges vor vielen Tagen durch das Gras gezogen hatte, war für Tokei-ihto auch jetzt noch zu sehen. Die Spur kam aus der dunstigen Ferne, sie kam vom Pferdebach und von den Schwarzen Hügeln und von den Ufern des Gelbsteinstromes bis zum Schlammwasser. Sie kam aus dem unübersehbaren Land, das den Männern der Dakota gehört hatte …
    Dann ging sie über den Strom in die Fremde. Tokei-ihto kannte das neue Land. Noch eine Nacht und wieder einen Tag und noch eine Nacht, dann konnten die emsigen Pferde und die holpernden Rutschen an der Grenze sein und hinüberwandern in die freien Prärien und den schützenden Wald. Bis zu jener Stunde wollte der Häuptling aushalten und alle Feinde auf sich ziehen. Dann mußte er ihnen entkommen.
    Untschida sang davon, daß er den Feinden entfliehen mußte. Er durfte nicht sterben. Die Söhne der Großen Bärin warteten auf ihren Häuptling. Sie brauchten ihn. Untschida hatte ein Beutelchen Beeren bei sich und einen kleinen Wassersack. Damit hielt sie aus. Sie sang ihr Lied ohne Unterlaß. Von der Bucht herauf klang wieder das Stöhnen des Postens, dem Tokei-ihtos beide Kugeln ins Bein gedrungen waren. Das Holz, unter dem er versteckt lag, bewegte sich. Tokei-ihto sah, wie der Mann das nasse Geäst fortschleuderte; die Schmerzen nahmen ihm die ruhige Überlegung. Der Dakota legte an und gab ihm den Gnadenschuß.
    Als die Sonnenstrahlen am Spätnachmittag schräg über den Hügelkamm fielen, beobachtete der Häuptling, wie sein verwundeter Mustang aufzukommen suchte. Es fiel dem Tier schwer, aber endlich stand er doch zitternd auf den Beinen und begann zu der Kuppe und seinem Herrn hinzuhumpeln.
    Die Belagerer schossen nicht auf das Pferd. Sie mußten sehen, daß es kaum vorwärts kam und daß sie mit einem wohlgezielten Schuß seinem Besitzer nur einen Fleischvorrat verschafften.
    Der Hengst kam zu der Mulde heran. Er beschnupperte die Stute, schien mit ihrer Anwesenheit einverstanden und rupfte sich einige Gräser ab. Tokei-ihto öffnete den Wassersack und gab dem Tier zu saufen. Von der Prärie her pfiffen aus weiter Entfernung etliche Kugeln und landeten wirkungslos in Gras und Erdreich. Tokei-ihto verschloß den Wassersack und ließ seine Flinte antworten. Sofort zogen sich die Feinde zurück.
    Der Häuptling lächelte spöttisch vor sich hin. Er dachte an den heftigen Kampf, den die Furcht auf der einen, die Hoffnung auf den kostbaren Skalp auf der anderen Seite im Herzen seiner Gegner ausfochten. Der Häuptling beobachtete unaufhörlich mit gespannter Aufmerksamkeit die ganze Runde. Es rührte sich nichts mehr.
    Die Jäger drunten
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