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Turm der Lügen

Turm der Lügen

Titel: Turm der Lügen
Autoren: Marie Cristen
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geschluckt hatte, die Regierungsgewalt über das Artois bis zur endgültigen Klärung des Streits an Philippe zu übertragen. Als geradezu genial wertete Adrien den Schachzug des Königs, die Einkünfte der Grafschaft in dieser Zeit den Brüdern seines verstorbenen Vaters zu lassen. Valois, ständig in Geldnot, war damit auch ruhiggestellt.
    »Der König ließ mir kaum eine andere Wahl, Flavy«, entgegnete Artois mit versteckter Verschlagenheit. »Die Pariser werden schon wissen, warum sie ihn nicht Philippe den Großen, sondern Philippe den Langen nennen. Es wird sich erst noch herausstellen müssen, ob seine Entscheidungen die Größe zeigen, die sein Körper verspricht.«
    »Es ist zu unser aller Bestem«, antwortete Adrien.
    Es war nicht seine Stärke, spöttische Sprüche mit Gleichem zu vergelten. Er war dankbar, als die Wachen vor dem Arbeitsgemach des Königs endlich zur Seite traten und die Flügeltüren aufrissen.
    Wie üblich verzichtete Philippe auf zeitraubendes Zeremoniell. Er grüßte die Anwesenden und war mit wenigen Schritten neben seinem Bruder, Adrien und Artois.
    »Es gibt Neuigkeiten aus Eurer umkämpften Provinz, mein Bester«, wandte er sich kühl an Artois. »Wie ich soeben erfahren habe, weigert sich ein Teil Eurer Gefolgsmänner, die Bedingungen des Vertrages zu erfüllen, der bis zur endgültigen Klärung der Besitzverhältnisse im Artois Gültigkeit besitzt. Mein Konnetabel teilt mir mit, dass noch immer einige Burgen und Dörfer unrechtmäßig von diesen Rittern besetzt gehalten werden.«
    »Das widerspricht meinen Anweisungen, aber was soll ich tun, Sire? Ihr wisst ja, wie manche von diesen alten Haudegen sind. Stur und schwer zu überzeugen. Ich bedaure das.«
    Artois grinste leutselig.
    »Dazu werdet Ihr im Châtelet auch reichlich Zeit und Gelegenheit haben, Artois. Man wird Euch dort beherbergen, bis der letzte Buchstabe dieses von Euch unterzeichneten Schriftstückes erfüllt ist. Wachen, bringt den Seigneur von Artois in den Kerker.«
    Artois’ Gesichtszüge entgleisten. Vor Schreck blieb ihm der Mund offen stehen.
    »Das kannst du nicht tun, Bruder!« Charles hatte sich von seinem Schock erholt und stellte Philippe lautstark zur Rede. »Artois ist mit einer Base von uns verlobt. Er gehört zur Familie. Unser Onkel Valois wird sich erneut brüskiert fühlen.«
    »Dein Familiensinn ist eine löbliche Eigenschaft, Charles. Doch leider stehst du immer auf der falschen Seite«, erwiderte der König, ohne die Stimme zu heben. »Ich dulde es nicht, dass man mir den Gehorsam verweigert. Schon gar nicht in der eigenen Familie.«
    Er wandte sich grußlos ab und winkte Adrien, ihm zu folgen. Charles und Artois waren für ihn schon vergessen, noch ehe sich die Tür hinter ihnen schloss.
    Adrien fühlte sich außerstande, so schnell zur Tagesordnung überzugehen. Ohne zu überlegen, brachte er einen Tadel vor, der ihm, streng genommen, den Vorwurf der Majestätsbeleidigung eintragen konnte.
    »War das nötig? Vor den Augen und Ohren des ganzen Hofes?«
    »Ich musste ein Exempel statuieren, mein Freund. Vergiss meinen Bruder und Artois. Sie haben beide bekommen, was sie seit langem verdienen.«
    Philippe schien über die Ungebührlichkeit nicht länger nachzudenken. Er brachte Adrien mehr guten Willen entgegen als seinem eigenen Bruder.
    »Mahaut wird Euch jedenfalls dankbar sein. Ihr habt ihr einen Feind aus dem Weg geräumt.«
    »Er ist auch mein Feind.«
    Adrien schwieg. Seit dem Gespräch in der Kapelle des
Hôtel d’Artois
zermarterte er sich den Kopf darüber, wie sein Leben weitergehen sollte. Er beneidete Philippe mehr denn je um seine Fähigkeit, in jeder Lage den Überblick zu behalten. Was er wohl zu dem Dilemma sagte, in dem er sich befand? Ihn ausgerechnet jetzt mit privaten Sorgen zu behelligen, widerstrebte ihm.
    Und doch … Nach allem, was er von Mahaut wusste, konnte er sie einfach nicht vorurteilsfrei einschätzen. Séverine verübelte es ihm, dass er sie nicht unterstützt hatte. Sie ging ihm aus dem Weg. Dieser Umstand bedrückte ihn sehr. Sie war der einzige Mensch, den er so sehr liebte, dass jede Trennung schmerzte. Dennoch fand er keinen Weg, das Missverständnis zu überwinden. Was verlangte sie von ihm? Dass er gegen jede Vernunft Mahaut für einen guten Menschen hielt, weil er ihre Tochter liebte?
    »Was ist mit dir?«, kam Philippe gleich zur Sache. »Seit Tagen läufst du mit dieser Leichenbittermiene herum und scheinst mit deinen Gedanken weit entfernt zu
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