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Trucks. Erzählungen

Trucks. Erzählungen

Titel: Trucks. Erzählungen
Autoren: Stephen King
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den hinten gelegenen Vorratsräumen mitgebracht.
    Er fing an, Automaten zu bearbeiten. Der Junge ging an die glitzernde Musikbox und warf eine Münze ein. John Fogarty verkündete singend, daß er auf dem Bayou geboren sei. Ich setzte mich und schaute aus dem Fenster. Ich etwas, was mir gleich nicht gefiel.
    Ein Chevro-Kleinlaster hatte sich zu der Runde gesellt wie Shetlandpony zu einer Herde von Percheronpferden. Ich beobachtete ihn, bis er einfach über die Leiche des Mädchens aus dem Caddy hinwegrollte, dann sah ich weg. »Wir Menschen haben sie doch gebaut«, sagte das Mädchen plötzlich kläglich. »Sie können so was doch nicht tun!«
    Ihr Freund beruhigte sie. Der Fahrer hatte den Automaten geöffnet und bediente sich. Er nahm sechs oder acht Packungen Viceroy. Er steckte sie in verschiedene Taschen und riß eine Schachtel auf. Er wirkte so gierig, daß ich nicht wußte, ob er sie rauchen oder essen wollte. Aus der Musikbox ertönte der nächste Song. Es war acht Uhr.
    Um acht Uhr dreißig fiel der Strom aus. Als das Licht ausging, schrie das Mädchen. Der Schrei verstummte plötzlich, als hätte ihr Freund ihr Hand auf den Mund gelegt. Die Musik verebbte einem absterbenden Grunzen. »Verdammt nochmal!« sagte der Fahrer.
    »Haben Sie Kerzen?« rief ich zu dem Schwarzen am Tresen hinüber.
    »Ich glaube wohl. Warten Sie... ja, hier liegen ein paar.«
    Ich stand auf und ließ sie mir geben. Wir zündeten sie an und stellten sie auf. »Seien Sie vorsichtig«, sagte ich. »Wenn wir den Schuppen anstecken, ist der Teufel los.«
    Der Schwarze lachte grimmig. »Was Sie nicht sagen.«
    Als wir die Kerzen aufgestellt hatten, hockten sich der Junge und seine Freundin nebeneinander. Der Fahrer stand an der Hintertür und beobachtete sechs weitere schwere Lastwagen, die zwischen den Betonstreifen mit den Zapfsäulen hin und her-pendelten. »Dies ändert die Lage, nicht wahr?« sagte ich zu dem Mann am Tresen.
    »Verdammt übel, wenn der Strom endgültig ausgefallen ist.«
    »Und was bedeutet das für uns?«
    »Das Hackfleisch für die Hamburger hält sich höchstens drei Tage. Das übrige Fleisch vergammelt natürlich genau so schnell. Die Konserven brauchen keine Kühlung, auch die trockenen Lebensmittel nicht. Aber das ist nicht das Problem. Ohne die Pumpen haben wir kein Wasser.«
    »Das ist sehr schlecht.«
    »Ja«, sagte der Schwarze, »denn ohne Wasser halten wir es höchstens eine Woche aus.«
    »Füllen Sie alle Gefäße, die Sie haben. Holen Sie Wasser raus, bis nur noch Luft kommt.
    Wo sind die Toiletten? Das Wasser in den Spültanks ist gut.«
    »Der Aufenthaltsraum für die Angestellten liegt hinten. Aber wenn man zu den Toiletten will, muß man nach draußen.«
    »Zur Werkstatt rüber?« Dazu war ich nicht bereit. Noch nicht.
    »Nein. Durch den Seitenausgang und dann ein Stück weiter.«
    »Geben Sie mir einen Eimer.« Er hatte zwei verzinkte. Der Junge kam herüber. »Was wollen Sie tun?«
    »Wir brauchen Wasser. Soviel wir kriegen können.«
    »Dann geben Sie mir auch einen Eimer.« Ich reichte ihm einen. »Jerry!« rief das Mädchen. »Du-« Er sah sie nur an, und sie schwieg. Aber sie nahm eine Serviette und fing an, sie zu zerreißen. Der Fahrer rauchte seine zweite Zigarette und schaute zu Boden. Dabei grinste er, aber er sagte nichts.
     
    Wir gingen zur Seitentür, durch die ich am Nachmittag hereingekommen war. Wir blieben einen Augenblick stehen und sahen die Schatten dunkler werden, während die Wagen immer noch hin und herfuhren. »Und jetzt?« fragte der Junge. Sein Arm streifte meinen, und seine Muskeln spannten sich und summten wie Drähte. Wer jetzt mit ihm aneinandergeraten wäre, hätte sein Testament machen können.
    »Beruhigen Sie sich«, sagte ich. Er lächelte ein wenig. Es war ein gequältes Lächeln, aber besser als gar keins.
    »Okay.«
    Wir glitten durch die Tür.
    Die Nachtluft hatte sich abgekühlt. Grillen zirpten im Gras, und im Abwassergraben quakten die Frösche. Hier draußen hörte man das Poltern und Dröhnen der Lastwagen lauter und drohender. Hier draußen war es Wirklichkeit. Hier konnte man getötet werden.
    Wir schlichen an der gekachelten Außenwand entlang. Das leicht vorspringende Dach ließ uns ein wenig im Schatten. Drüben am Windschutzzaun lag mein zertrümmerter Camaro, und das schwache Licht der Verkehrszeichen spiegelte sich auf dem zerfetzten Metall und in Lachen von Benzin und Öl.
    »Sie gehen in die Damentoilette«, flüsterte ich. »Nehmen Sie das
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