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Troposphere

Troposphere

Titel: Troposphere
Autoren: Scarlett Thomas
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in dem Bild wirkten, als benutzten sie sie womöglich, um in die Realität einzutreten; in die Gegenwart.
    »Lumas kann einen schon ein bisschen verrückt machen«, sagte Burlem, als er zurückkam.
    »Aber mir gefällt die Idee mit der Fotografie«, sagte ich. »Sie erinnert mich an eine Erzählung, ›Die Daguerreotypie‹.«
    »Die haben Sie gelesen?«
    Ich nickte. »Ja. Ich glaube, das ist meine Lieblingsgeschichte.«
    »Wie sind Sie da bloß drangekommen?«
    »Die habe ich auf eBay bekommen. Sie war in einer Sammlung. Ich habe fast alle Bücher von Lumas bis auf ›The End of Mister Y‹. Die meisten habe ich in Online-Antiquariaten gefunden.«
    »Und das ist alles für einen Zeitschriftenartikel?«
    »Genau. Ich nehme das ziemlich ernst. Einen Monat lang lebe ich praktisch mit, sagen wir mal, Samuel Butler. Dann finde ich irgendeine Querverbindung, die mich auf den nächsten Artikel bringt. Die Kolumne heißt ›Freie Assoziation‹. Vor drei Jahren habe ich mit dem Urknall angefangen.«
    Burlem lachte. »Und wohin hat Sie das geführt?«
    »Zu den Eigenschaften von Wasserstoff, der Lichtgeschwindigkeit, der Relativität, der Quantenmechanik, der Wahrscheinlichkeitstheorie, zu Schrödingers Katze, der Wellenfunktion, dem Licht, dem Lichtäther – mein persönliches Lieblingsthema –, dem Experiment, dem Paradox …«
    »Dann sind Sie Naturwissenschaftlerin? Verstehen Sie all den Kram?«
    Ich lachte. »Gott bewahre, nein. Überhaupt nicht. Ich wünschte, ich würde es verstehen. Ich hätte wahrscheinlich nicht mit dem Urknall anfangen sollen, aber wenn man das macht, darf man sich nicht darüber beklagen, wo man so landet. Irgendwann bin ich von der künstlichen Intelligenz zu Butler gekommen, und jetzt stehe ich hier mit Lumas. Während ich mich mit ihm beschäftige, entscheide ich darüber, welcher Verbindung ich als Nächstes nachgehen werde, damit ich alle Bücher zu diesem Thema bestellen kann. Vielleicht mache ich etwas über die Geschichte der Fotografie, ausgehend von der ›Daguerreotypie‹. Oder ich wende mich dem Problem der vierten Dimension und diesem Zöllner-Buch zu, obwohl mich das wieder zurück zur Wissenschaft bringt.«
    In »Die Daguerreotypie« wacht ein Mann eines Morgens auf und findet in einem Park auf der anderen Straßenseite eine Kopie seines Hauses, um die sich eine große Gruppe Menschen versammelt hat. Wo kommt das Haus her? Die Leute beschuldigen den Mann sofort, er hätte den Verstand verloren und dafür gesorgt, dass über Nacht in dem Park ein zweites Exemplar seines Hauses gebaut würde. Er weist darauf hin, dass das unmöglich sei. Wer könnte schon über Nacht ein ganzes Haus bauen lassen? Außerdem wirkt das Haus in dem Park nicht neu. Es ist tatsächlich eine exakte Kopie des »realen« Hauses, bis hin zu einigen Kratzern an den Türpaneelen und angelaufenen Stellen am Messingklopfer. Das Einzige, was vom Originalhaus abweicht, ist offenbar das Türschloss: Der Schlüssel passt nicht, und das Schlüsselloch scheint durch irgendetwas blockiert zu sein. Der Mann bemüht sich zunächst, das Haus zu ignorieren, aber schon bald beherrscht es sein Leben, und er fühlt sich genötigt herauszufinden, wo es herkam. Wegen des Hauses im Park verliert er seine Stelle als Lehrer, und seine Verlobte läuft mit einem anderen Mann davon. Die Polizei schaltet sich ein und beschuldigt den Mann aller möglichen Verbrechen. Das Haus hat auch einige seltsame Eigenschaften, deren wichtigste darin besteht, dass niemand hineingehen kann. Es ist möglich, durch die Fenster hineinzusehen und zu betrachten, was drinnen ist: ein Tisch, eine Blumenvase, ein Sekretär, ein Klavier; aber niemandem gelingt es, die Fenster einzuschlagen oder die Tür aufzubrechen. Das Haus ist wie ein massiver Körper, der innen keinen Hohlraum hat.
    Eines Tages, als der Mann beinahe den Verstand verloren hat, besucht ihn ein rätselhafter Greis, der einen Karton mit allerlei Gerätschaften dabeihat. Er erzählt dem Mann, dass er von seiner misslichen Lage gehört hat und zu wissen glaubt, was passiert ist. Er nimmt eine mit Samt ausgeschlagene aufklappbare Dose heraus und erklärt dem Mann die Funktionsweise der Daguerreotypie. Der Mann ist anfangs ungeduldig. Jeder weiß, wie Daguerreotypien funktionieren! Aber dann stellt sein Besucher eine ganz unglaubliche Behauptung auf. Wenn Menschen, dreidimensionale Lebewesen, zweidimensionale Versionen der Gegenstände ringsum erzeugen können, wäre dann die Annahme völlig
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