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Traumsammler: Roman (German Edition)

Traumsammler: Roman (German Edition)

Titel: Traumsammler: Roman (German Edition)
Autoren: Khaled Hosseini
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dröhnte der Dämon, nachdem Baba Ayub einen Stein gegen das Tor geworfen hatte.
    Baba Ayub nannte seinen Namen. »Ich komme aus dem Dorf Maidan Sabz«, sagte er.
    Suchst du den Tod? Den wirst du finden, wenn du den Frieden meines Hauses störst! Was ist dein Begehr?
    »Ich bin gekommen, um dich zu erschlagen.«
    Hinter den Toren trat Stille ein. Dann schwangen sie auf, und da stand der Dämon, er überragte Baba Ayub in all seiner albtraumhaften Pracht.
    Ach, ja?, sagte er, und seine Stimme klang wie dumpfes Donnergrollen.
    »Ja«, sagte Baba Ayub. »So oder so – einer von uns beiden wird heute sterben.«
    Für einen Moment sah es so aus, als würde der Dämon Baba Ayub von den Beinen schmettern und mit einem einzigen Biss seiner messerscharfen Zähne töten. Aber das Ungeheuer verengte die Augen und zögerte. Vielleicht wegen des Irrsinns, der aus den Worten des Mannes sprach. Vielleicht wegen dessen zerfetzten Kleidern, dem blutigen Gesicht, dem Dreck, der ihn von Kopf bis Fuß bedeckte, den Schwären auf der Haut. Oder zögerte der Dämon, weil er in den Augen des alten Mannes keine Spur von Angst erkennen konnte?
    Woher kommst du?
    »Aus Maidan Sabz«, wiederholte Baba Ayub.
    Wenn ich dich so ansehe, muss es weit weg liegen, dieses Maidan Sabz.
    »Ich bin nicht gekommen, um mit dir zu schwatzen. Sondern um dich …«
    Der Dämon hob eine Klauenhand. Ja. Ja. Du bist gekommen, um mich zu erschlagen. Ich weiß. Aber bevor du mich tötest, werde ich wohl noch ein paar Worte sagen dürfen.
    »Meinetwegen«, sagte Baba Ayub. »Aber nur ein paar.«
    Ich danke dir. Der Dämon grinste. Darf ich fragen, warum ich den Tod verdiene? Welches Unrecht habe ich dir angetan?
    »Du hast meinen jüngsten Sohn geraubt«, antwortete Baba Ayub. »Er war mir das Liebste auf der Welt.«
    Der Dämon fasste sich brummend ans Kinn. Ich habe viele Kinder von vielen Vätern geraubt, sagte er.
    Baba Ayub zog zornig die Sichel. »Dann werde ich auch in ihrem Namen Rache nehmen.«
    Dein Mut nötigt mir Respekt ab, das muss ich zugeben.
    »Du verstehst nichts von Mut«, sagte Baba Ayub. »Mut zeigt man nur, wenn etwas auf dem Spiel steht. Aber ich habe nichts mehr zu verlieren.«
    Du könntest dein Leben verlieren, sagte der Dämon.
    »Das hast du mir längst genommen.«
    Der Dämon brummte wieder und betrachtete Baba Ayub eingehend. Nach einer Weile sagte er: Also gut. Du sollst deinen Zweikampf bekommen. Aber zuvor möchte ich dich bitten, mir zu folgen.
    »Nur, wenn es nicht zu lange dauert«, sagte Baba Ayub. »Ich verliere allmählich die Geduld.« Doch der Dämon schritt schon auf einen Flur von gewaltigen Ausmaßen zu, und Baba Ayub blieb keine andere Wahl, als ihm zu folgen. Sie gingen durch ein Labyrinth von Fluren mit himmelhohen Decken, gestützt von riesigen Säulen. Sie passierten zahlreiche Treppen und Räume, so groß, dass ganz Maidan Sabz hineingepasst hätte. Sie gingen immer weiter, bis Baba Ayub von dem Dämon in eine weite Halle geführt wurde, deren Rückwand von einem Vorhang verdeckt war.
    Komm näher, sagte der Dämon.
    Baba Ayub trat neben ihn.
    Der Dämon zog die Vorhänge auf. Dahinter befand sich ein verglastes Fenster, das den Blick auf einen großen Garten freigab. Baba Ayub sah, dass der Garten von Zypressenspalieren gesäumt war, vor deren Stämmen Blumen blühten. Er sah blau gekachelte Becken, Marmorterrassen und sattgrüne Rasenflächen. Er sah kunstvoll gestutzte Hecken und auch Springbrunnen, die im Schatten von Granatapfelbäumen plätscherten. Einen so wunderschönen Ort hätte er sich nicht in seinen kühnsten Träumen vorstellen können. Doch was Baba Ayub wirklich überwältigte, waren die fröhlich herumtollenden Kinder. Sie spielten Fangen auf den Wegen und zwischen den Bäumen. Sie spielten Verstecken hinter den Hecken. Baba Ayub nahm ein Kind nach dem anderen in den Blick, und schließlich fand er, was er gesucht hatte. Da war er! Sein Sohn, Qais, lebendig und kerngesund. Er war größer geworden, und seine Haare waren länger als früher. Er trug ein schönes, weißes Hemd über einer feinen Hose. Er rannte lachend hinter zwei Spielkameraden her.
    »Qais«, flüsterte Baba Ayub, und sein Atem ließ das Glas beschlagen. Dann rief er den Namen seines Sohnes.
    Er kann dich weder sehen noch hören, sagte der Dämon.
    Baba Ayub sprang auf und nieder, schwenkte die Arme und hämmerte gegen das Glas, bis der Dämon die Vorhänge wieder zuzog.
    »Ich verstehe nicht«, sagte Baba Ayub. »Ich dachte
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