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Totgesagt

Totgesagt

Titel: Totgesagt
Autoren: Brenda Novak
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verkrampfte; als sie sich überwand und zum Wrack hinüberblickte, sah sie ihre beiden Cousins schon herbeieilen.
    Chief Pontiff, der bereits unbehaglich zu ihr herüberäugte, rückte seine Kopfbedeckung zurecht, damit ihm der Regen nichts ins Gesicht schlug. Er fing die beiden Vincelli-Brüder ab, ehe sie sich dem Autowrack nähern konnten. “Jetzt lasst
uns
erst mal”, brummte er unwirsch.
    Madeline war froh, dass Irene, Clay und Grace sich nicht von der Stelle rührten. Sonst hätte sie plötzlich ganz allein dagestanden. Näher an den Wagen traute sie sich nicht heran, konnte sie doch nicht wissen, was sie dort möglicherweise erwartete. Sie befürchtete, der Anblick hätte ihre Albträume womöglich noch verschärft. Alle paar Wochen träumte sie, ihr Vater hämmere mitten in der Nacht an die Haustür. Dabei trug er stets einen schweren Mantel; und wenn dieser sich dann öffnete, kam darunter sein blankes Skelett zum Vorschein.
    Grace, eine gepflegter wirkende, elegantere Version von Clay, nahm ihre Hand, und auch Irene rückte näher. Clay trat einen Schritt vor, wirkte dabei noch zugeknöpfter als sonst. Zweifellos dachte er an seine neue Frau Allie und seine Stieftochter sowie daran, welche Wirkung diese Angelegenheit wohl auf die beiden ausüben mochte. Seit der Heirat mit Allie war er endlich ein glücklicher Mensch geworden. Fragte sich nur: wie lange noch? Die Polizei neigte dazu, ihn schnell ins Visier zu nehmen. Im vergangenen Sommer wäre er um ein Haar wegen des Verdachts, Madelines Vater ermordet zu haben, angeklagt worden – obwohl es keine Leiche gab, keine Augenzeugen, nicht den geringsten forensischen Beweis. Auch jetzt konnte es wieder brenzlig für ihn werden, es sei denn, das geborgene Autowrack enthielt eindeutige Hinweise darauf, dass Clay mit der Sache nichts zu tun hatte.
    “Die Türen sind zugerostet”, rief Pontiff. “Hol mal einer die Brechstange!”
    Radcliffe, ein Polizist Anfang zwanzig, entfernte sich zu einem der Einsatzfahrzeuge, nahm das schwere Eisen aus dem Kofferraum und brachte es zu seinem Vorgesetzten. Als der nun anfing, die Tür aufzuhebeln, protestierte das Wrack vernehmlich, was Madeline sich noch weiter verkrampfen ließ, sodass ihre verspannten Muskeln allmählich schmerzten. Schließlich gab die Autotür nach, und aus dem Inneren des Cadillacs brach ein Wasserschwall, der allen in unmittelbarer Nähe über die Füße schwappte.
    Pontiff bemerkte das augenscheinlich nicht. Und nicht nur er, alle starrten wie gebannt auf diese Flutwelle, als rechneten sie damit, dass gleich auch Leichenteile mit herausgespült würden.
    Wie kann so etwas passieren?, fragte sich Madeline. Wie kann es sein, dass man Mutter
und
Vater verliert? In zwei voneinander unabhängigen Vorfällen?
    Da sie nichts ausmachen konnte, was auf die sterblichen Überreste eines Menschen hindeutete, wagte sie sich ein wenig näher heran und hielt angestrengt nach kleinsten Anhaltspunkten Ausschau, Kleiderfetzen etwa oder – sie verzog schmerzhaft das Gesicht – Knochenreste. Falls sich die Leiche ihres Vaters tatsächlich in diesem Autowrack befand, bewies das zumindest, dass er nicht vorgehabt hatte, seine Tochter im Stich zu lassen. Denn genau diese Annahme hatte sie bislang nicht tolerieren können. Als allseits beliebter Gemeindepfarrer war er ein gottesfürchtiger Mann gewesen, stets bereit einzuspringen, wenn die Not am größten war. Seine Schäfchen, seine Farm, seine Familie … freiwillig hätte er sie nie im Stich gelassen.
    Was nur den Schluss zuließ, dass man ihn umgebracht hatte. Aber wer war der Täter?
    Während das Wasser immer noch aus dem Auto rann und mit dem Regenwasser vermischt über den Grubenrand ins Baggerloch lief, schaute Madeline mit zusammengebissenen Zähnen zu. Immer noch kein grausiger Fund. Bis jetzt!
    Inzwischen wurde der Kofferraumdeckel aufgebrochen. Der Zündschlüssel hatte zwar noch im Schloss gesteckt, doch waren sämtliche Schlösser so korrodiert, dass wieder das Brecheisen zum Einsatz kommen musste. Beim Zuschauen merkte Madeline, wie ihr etwas säuerlich in der Kehle aufstieg. Sie versuchte, sich irgendwie mental abzulenken. Das junge Ding, das man am Mittwoch beerdigt hatte … das miserable Wetter … die vielen Jahre, die sie nun schon ohne Vater hatte auskommen müssen …
    Pontiff hob einen Gegenstand hoch. “Erkennst du das wieder?”
    Mit einiger Verzögerung begriff sie, dass sie gemeint war. Sie nickte. Es war die Polaroidkamera, die ihr
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