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Totenmesse

Titel: Totenmesse
Autoren: Arne Dahl
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zurechtzukommen.
    Er sah sich um und verkündete der sauertöpfischen Schar: »Seht nur, wie schön der Schnee auf dem Dach der Roslags-Bro-Kirche glitzert. So ein Anblick muss die heimkehrenden Kreuzfahrer nach dem zweiten Kreuzzug im Winter 1150 empfangen haben. Nach Jahren von Krieg und Leid die Rückkehr ins Paradies.«
    Â»Du solltest lieber auf die Straße achten, Arto«, entgegnete seine Frau schüchtern von der Rückbank.
    Arto Söderstedt waren ihre Worte jedoch ebenso entgangenwie die Tatsache, dass der Minibus auf der schlecht geräumten Landstraße schon dreimal den Straßengraben tangiert hatte.
    Seine Frau Anja war eine tolerante Ehefrau, die sich selten den Einfällen ihres Mannes widersetzte. Vielleicht war sie auch nur realistisch genug, um einzusehen, dass es sinnlos gewesen wäre. Stattdessen warf sie einen besorgten Blick auf die zweite Frau im Wagen, Viggo Norlanders Lebensgefährtin Astrid. Obwohl deren Töchter Charlotte und Sandra immer wieder wie Fäustlinge auf ihren Kindersitzen hin und her geworfen wurden, schien sie die Situation nicht zu beunruhigen. Dagegen war sie immer noch wütend auf Viggo.
    Â»Aber du begreifst nicht, Astrid«, hatte Viggo Norlander gesagt, als sich das Paar am Samstagabend zu entspannen versuchte, nachdem die beiden kleinen Mädchen endlich im Bett waren. Viggo hatte sie durch ein Bettwetthüpfen aufgeputscht, was ihm nicht nur schmerzende Knochen, sondern auch eine Gardinenpredigt eingebracht hatte.
    Â»Was begreife ich nicht?«, hatte Astrid in einem Tonfall gefragt, der in seiner Sanftheit mindestens so entschieden war wie Arto Söderstedts zerstreute Variante.
    Viggo Norlander hatte es versucht: »Er hat sich in den Kopf gesetzt, irgendwo in Norrland auf einer Auktion einen alten Schreibtisch zu kaufen. Klingt das wirklich aufregend? Wir könnten stattdessen etwas Nützliches tun, wir sollten … tja … zu Ikea fahren und einen Badezimmerschrank kaufen.«
    Â»Ich finde, es klingt spannend«, hatte Astrid geantwortet.
    Damit war die Entscheidung gefallen.
    Jetzt erwiderte Astrid Anjas Blick und verdrehte die Augen zum Himmel. Es war ein Augenverdrehen von der Art, die Frauen auf der ganzen Welt beherrschen. Es bedeutet: Männer! und überwindet jede Sprachbarriere.
    Hinten im Wagen waren die Proteste deutlicher. Von den fünf Kindern der Familie Söderstedt hatten die beiden ältesten, Mikaela und Linda, freibekommen. Aber Peter, Stefanund die kleine Lina waren mit von der Partie, und wenn sie sich nicht prügelten, bockten sie.
    Der Einzige auf der Vorderbank, der das ewige Gezanke hörte, war Viggo Norlander. Er versuchte, es auszublenden, indem er sich in den Straßenatlas vertiefte. Es gelang ihm nicht besonders gut. Er konnte die Kinder auch nicht anbrüllen, weil es nicht seine waren. Und der Vater legte die übliche Verantwortungslosigkeit an den Tag, wie er da mit dämlichem Lächeln am Steuer saß.
    Â»Pflegefall«, sagte Norlander.
    Was mit einem engelblauen Blick und den Worten quittiert wurde: »Wenn Pulverschnee unberührt auf den Feldern liegt und die Schneeflocken sich in kleinen Wolkenformationen an die Dachfirste klammern, dann ist es die beste Zeit des Jahres. Spätwinter. Siehst du nicht, wie schön es ist, Viggo? Nimm mal die Augen von der Karte und guck raus.«
    Norlander lag sein Lieblingsausdruck ›Schnauze‹ auf der Zunge, doch der Blick durchs Fenster war wirklich betörend. Die tief stehende Sonne breitete ihre Strahlen über die zuckerwattegleiche Schneedecke und verwandelte die Landschaft in ein Meer aus Licht- und Farbschattierungen. Und am Waldrand sprang doch wahrhaftig ein Rehkitz hervor. Es fehlte nur noch ein ordentlicher Elch.
    So war es meistens. Söderstedt ließ Norlanders Widerstand in sich zusammenfallen, und es war diesem verflixten Finnen nie anzumerken, dass er kämpfte. Doch es herrschte stets eine Art Machtkampf bei diesem Zweigespann in der Spezialeinheit für Gewaltverbrechen von internationalem Charakter bei der Reichskriminalpolizei, besser bekannt als die A-Gruppe. Der Machtkampf bestand meistens darin, dass Söderstedt versuchte, Norlander dazu zu bewegen, den Blick zu heben, beispielsweise von einer Straßenkarte.
    Und wieder einmal war es gelungen. Anscheinend ohne jede Anstrengung. Norlanders Blick schien ewig auf der Winterlandschaft verweilen zu wollen.
    Also
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