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Tore in der Wüste

Tore in der Wüste

Titel: Tore in der Wüste
Autoren: Roger Zelazny
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abhoben. Ich duckte mich, bemüht, mit meinen erhobenen Händen gleichzeitig Schutz zu suchen und das Gleichgewicht zu wahren.
    Er prallte gegen mich, aber weder an der Kehle noch an der Schlagader. Er traf auf meine linke Schulter, wonach er sich wie wild in mein Schulterblatt und meinen Oberarm hinei n krallte. Dann fiel er.
    Es folgte ein Augenblick unbewußter Reaktionen und Gedanken: das Gleichgewicht wiedererlangen, dieses kleine, bösartige Ding retten – aus welchen Gründen auch immer –, den rechten Arm ausstrecken, das Gewicht auf den linken Fuß verlagern, mit der linken Hand festhalten, nicht zu weit hinausbeugen, greifen – vorsieht, nicht straucheln, jetzt kommt der Ruck …
    Ich hatte ihn! Ich hatte ihn am Schwanz zu fassen b e kommen. Aber …
    Ein kurzer Augenblick des Widerstandes, ein reißendes Geräusch, eine plötzliche Gewichtsverlagerung zur anderen Seite …
    Ich hielt einen steifen, künstlichen Schwanz in der Hand, Reste eines geschickt angefertigten Kostüms klebten noch daran. Ich erhaschte einen flüchtigen Blick auf die schwarze Gestalt, als sie durch die hell erleuchteten Regionen stürzte. Ich glaube kaum, daß sie auf den Füßen landete.

12
     
    Zeit.
    Mehr Fragmente, Scherben, Bruchstücke … Zeit.
    Epiphanie in Schwärze & Licht, Szenario in Grün, Gold, Purpur & Grau …
    Da ist ein Mann. Er klettert in der dunstigen, abendlichen Luft, er besteigt den hohen Turm von Cheslerei in einer Stadt namens Ardel, neben einem Meer, dessen Namen er bisher noch nicht einmal richtig aussprechen kann. Das Meer selbst ist dunkel und dickflüssig wie Johannisbeersaft, das Licht von Canis Vibesper spiegelt sich darin wieder, der So n ne, die gerade eben unter dem Horizont versunken ist, um nun einem anderen Kontinent Licht und Wärme zu spenden. Eine sanfte Brise streicht über die Bauwerke, Ba l kone, Türme, Wälle und Häuser der Stadt, sie trägt die Gerüche des Fes t landes hinaus zu seinem älteren, kälteren G e fährten …
    An der seewärts gerichteten Seite klettert er mit dem fli e henden Tag um die Wette. Der Turm von Cheslerei wird von den letzten Strahlen der Sonne erhellt, nur noch die ä u ßerste Spitze ist in Licht gebadet. Vom Beginn des Sonne n untergangs an stieg er dem entschwindenden Licht nach, um der Nacht an der letztmöglichen Stelle zu begegnen.
    Mittlerweile klettert er mit den Schatten um die Wette, sein eigener wird bereits diffus, seine Hände ragen wie F i sche aus dem Meer der Dunkelheit heraus. Am gewaltigen Firmament über ihm hält die Nacht mit all ihrer Sterne n pracht ihren Einzug. Durch die kristallene Maske der Atm o sphäre hindurch sieht er ihr unverblümt ins Antlitz. Nun hält er inne, das letzte goldene Fleckchen ist verschwunden. Die Schatten dringen auf ihn ein.
    Doch noch einmal blitzt es kurz auf, dieses Fleckchen Helligkeit. Vielleicht an einen anderen, grünen und gold e nen Or t d enkend, bewegt der Mann sich nur noch rascher, sein Schatten folgt ihm beharrlich. Das Licht verblaßt einen Moment, kehrt wieder.
    In diesem Augenblick umklammert er die Brüstung, er zieht sich hoch wie ein Schwimmer, der das Wasser verläßt.
    Er steht auf, dreht sich um, um sich der See und dem Licht zuzuwenden. Ja …
    Er sieht ihn, den letzten, verschwindenden goldenen Fleck. Nur einen Augenblick sieht er ihm nach.
    Dann setzt er sich auf den kühlen Stein und betrachtet stumm die Wunder der Nacht, als würde er sie zum ersten Mal sehen. Lange Zeit sitzt er schweigend so da …
    Oh ja, ich kenne ihn sehr gut.
     
    Portrait: Junge und Hund tollen am Strand umher. Tick-Tack-zurück in die Vergangenheit. Fragment …
    „ Fang, Junge, fang! “
    „ Verdammt, Ragma! Jetzt lerne endlich, wie man einen Frisbee richtig wirft, wenn du schon spielen willst! Ich habe es satt, immer hinterherzurennen. “
    Er kicherte. Ich holte den Frisbee, warf ihn wieder zu ihm hin. Er fing ihn und warf ihn gleich darauf wieder irgendwo in die Büsche.
    „ Da hast du ’ s! “ rief ich. „ Du bist ein guter Fänger, aber ein lausiger Werfer. Ich geb ’ s auf. “
    Ich wandte mich um und ging zum Wasser. Wenig später hörte ich ein schnaufendes Geräusch, dann war er an meiner Seite.
    „ Bei uns zu Hause gibt es ein ähnliches Spiel “ , sagte er. „ Darin war ich auch nie besonders gut. “
    Wir sahen dem Spiel der Brandung zu, grau und grün, die schaumgekrönten Wellen rollten ans Ufer.
    „ Gib mir eine Zigarette “ , sagte Ragma.
    Ich gab ihm eine und steckte mir
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