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Tokio Vice

Titel: Tokio Vice
Autoren: Jake Adelstein
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wertete meine Antwort offenbar als völlige Zustimmung, und ich machte mir nicht die Mühe, ihn davon abzubringen.
    Dann kamen die beiden letzten Fragen:
    »Können Sie am Sabbat arbeiten?«
    Das war kein Problem.
    »Dürfen Sie Sushi essen?«
    Das war auch keines.
    Danach klopfte mir Matsuzaka-san, einer der Personalleiter, der für einen Japaner erstaunlich jüdisch aussah, auf die Schulter und sagte: »Meinen Glückwunsch. Betrachten Sie sich als eingestellt. Die nötigen Unterlagen erhalten Sie mit der Post.«
    Als er mich zur Tür brachte, flüsterte er mir verschwörerisch ins Ohr: »Ich war auch auf der Sophia. Ihre Lehrer haben Sie gelobt. Schön, dass wir jetzt zu zweit sind.« Es war kaum zu glauben, ich hatte wirklich Glück gehabt, dass einer von den Leuten, die über mich urteilen sollten, ein ehemaliger Sophia-Student war.
    Ich weiß nicht, warum das Schicksal mir so gewogen war, aber sicherheitshalber warf ich auf dem Heimweg ein paar Münzen auf den Haufen vor dem Buddha im Garten des Nezu-Museums.
    Diesem Buddha schuldete ich nämlich noch etwas Geld, das ich mir einmal für die U-Bahn geborgt hatte – und ich bezahle meine Schulden immer.

Es geht nicht ums Lernen,
sondern ums Verlernen
    Da ich erst in sechs Monaten bei der Yomiuri anfangen sollte, hatte ich genügend Zeit, um unsicher zu werden. Hatte ich mir vielleicht mehr zugemutet, als ich leisten konnte? Natürlich konnte ich gut genug lesen und schreiben, aber wie sollte ich Leute auf Japanisch interviewen?
    Matsuzaka, der bei der Yomiuri für die Neueinsteiger zuständig war, war ziemlich überrascht, als ich im Oktober in sein Büro platzte und ihn um ein Praktikum bat, das mir helfen sollte, mich auf den Job vorzubereiten.
    »Ich finde es gut, dass sie sich perfekt vorbereiten wollen«, meinte er, »aber bisher hat noch nie jemand vor dem offiziellen Beginn hier gearbeitet. Aber Sie sind ja ein ungewöhnlicher Fall, darum will ich sehen, was ich tun kann.« Dann brachte er mich in den zweiten Stock, bot mir eine Tasse Kaffee an, überreichte mir Info-Material für Jungreporter und schickte mich nach Hause.
    Etwa zwei Wochen später rief er an, um mir zu sagen, dass er eine Art Minipraktikum für mich arrangiert hatte. Ich sollte etwa eine Woche in verschiedenen Büros verbringen. Mein erster Einsatz führte mich in den Presseclub des Tokyo Metropolitan Police Department (TMPD).
    Matsuzaka erwartete mich im Hauptquartier der Tokioter Polizei, einem riesigen, labyrinthartigen Gebäude, das alle anderen im Regierungsviertel überragte. Es war das Nervenzentrum der Tokioter Polizei, die aus rund 40 000 Beamten bestand. Matsuzaka wollte mich Ansei Inoue vorstellen, einem legendären Journalisten und Autor des Buches Thirty-three Years as a Police Reporter . Inoue war der Star unter den Polizeireportern und wurde im Yomiuri -Imperium geliebt, gefürchtet und beneidet. Berühmt geworden war er dadurch, dass er die Unschuld eines Universitätsprofessors bewiesen hatte, der wegen Mordes an seiner Frau verurteilt worden war. Er hatte nicht nur die Fehler der Polizei und der Staatsanwaltschaft entlarvt, sondern auch den wahren Mörder aufgespürt. Der Fall wurde zum klassischen Beispiel dafür, dass auch Unschuldige verurteilt werden können, wenn sie in das Räderwerk der japanischen Justiz geraten.
    Inoue war etwa 1,54 Meter groß und dünn, hatte langes, ungepflegtes Haar und trug einen grauen Anzug, eine schwarze Krawatte und abgewetzte Schuhe. Seine Augen waren hinter braunen Brillengläsern verborgen und blickten trüb. Doch als ich ihm vorgestellt wurde, funkelten sie, denn die Situation schien ihn zu amüsieren.
    »Sie sind also der gaijin , von dem ich gehört habe«, sagte er lebhaft. »Sie sprechen Japanisch, stimmt’s?« Obwohl er die Frage eher an Matsuzaka gerichtet hatte als an mich, antwortete ich ihm.
    »Ich spreche Japanisch, aber das Schreiben ist eine andere Sache.«
    Inoue lachte. »Ach, Sie schreiben wahrscheinlich besser als die
Leute, die für mich arbeiten. Gehen wir nach oben.«
    Jeder, der das TMPD besuchte, ohne Mitglied des Presseclubs oder Angestellter zu sein oder ohne eine besondere Sicherheitsüberprüfung durchlaufen zu haben, brauchte einen Polizisten als Begleitung, um das Gebäude betreten zu dürfen. Aber Inoue kam und ging nach Belieben. Drei Jahre später, nachdem die Aum-Shinrikyo-Sekte die U-Bahn mit dem Nervengift Sarin besprüht hatte, gab es eine Verschärfung der Sicherheitsmaßnahmen in ganz
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