Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tödlicher Mittsommer

Tödlicher Mittsommer

Titel: Tödlicher Mittsommer
Autoren: Viveca Sten
Vom Netzwerk:
beachten schien, was ihr Interesse nur noch verstärkte.
    Sie wusste, dass sie nicht schlecht aussah, sie war klein und zierlich, und beim Lächeln zeigte sich ein Grübchen in ihrer linken Wange, das die Leute immer zu Kommentaren veranlasste. Normalerweise bekam sie jede Menge Bestätigung vonseiten der Männer, aber Thomas behandelte sie genau wie alle anderen, trotz ihrer kleinen Einladungen.
    Carina hatte begonnen, sich um Thomas herum nützlich zu machen. Manchmal brachte sie Croissants oder Zimtschnecken zum Vormittagskaffee mit und bot Thomas davon an. Wenn sie Dienstbesprechung hatten, versuchte sie, sich in Thomas’ Nähe zu setzen, und gab sich Mühe, seine Aufmerksamkeit einzufangen. Aber bisher hatte alles nichts genützt.
    Jetzt stand sie zögernd in der Türöffnung, während Thomas das Obduktionsprotokoll studierte. Ihr Blick ruhte auf seiner Hand, die den Bericht hielt. Sie fand, dass er sehr sensible Finger hatte, lang und schmal, mit schön gerundetem Nagelbett. Ab und zu fantasierte sie darüber, wie es wohl wäre, wenn diese Finger sie berührten. Vor dem Einschlafen stellte sie sich manchmal vor, wie seine Hände sie am ganzen Körper streichelten. Wie es sich wohl anfühlte, ganz dicht neben ihm zu liegen, Haut an Haut.
    Nichts von Carinas Gedanken ahnend, vertiefte Thomas sich in den Bericht. Er war in einer klinisch-kühlen Sprache abgefasst, ohne irgendwelche emotionalen Nuancen, die etwas über den Menschen verraten hätten, der das Objekt dieser Beschreibung war. Kurze, lakonische Sätze fassten nüchtern zusammen, was die Obduktion ergeben hatte.
    Tod durch Ertrinken. Wasser in der Lunge. Die Schäden am Körper waren, soweit man beurteilen konnte, ursächlich auf die Verweildauer im Meer zurückzuführen. Mehrere Finger und Zehen fehlten. Kein Nachweis von chemischen Substanzen oder Alkohol im Blut. Das Fischernetz bestand aus denselben Baumwollfasern, aus denen schwedische Fischernetze in aller Regel geknüpft waren. Die Seilschlinge um den Oberkörper war ein gewöhnliches Tau. Es sah aus, als sei etwas an dem Tau befestigt gewesen, das untere Ende war ausgefranst, und Spuren von Eisen zeigten an, dass es in Kontakt mit einem metallischen Gegenstand gewesen war.
    Nichts in dem Bericht deutete auf Tod durch Fremdverschulden hin.
    Demnach also Selbstmord oder ein Unfall.
    Das einzig Merkwürdige war das Seil um den Körper. Thomas dachte eine Weile nach. Wieso trug jemand, der aufgrund eines Unglücks ertrunken war, eine Schlinge um den Oberkörper? Gab es eine Erklärung dafür? Hatte Krister Berggren versucht, sich an einem Seil hochzuziehen, nachdem er ins Wasser gefallen war? Angenommen, er hatte Selbstmord begehen wollen – hatte er vielleicht einen halbherzigen Versuch gemacht, sich zu erhängen, es sich dann anders überlegt und war stattdessen gesprungen? Aber hätte er in dem Fall nicht vorher das Seil abgemacht? Wozu es sich erst um den Körper schlingen? Aber vielleicht war eine solche Frage in der seelischen Verfassung, in der sich ein Selbstmörder unmittelbar vor der Tat befinden musste, völlig irrelevant.
    Das mit dem Fischernetz konnte ein Zufall sein. Die Leiche war vielleicht ganz einfach in das ausgeworfene Netz getrieben und hatte sich darin verfangen. Das mit der Seilschlinge war schwieriger nachzuvollziehen. Andererseits hatte Thomas im Laufe der Jahre bei der Polizei die Erfahrung gemacht, dass sich manche Sachen nun mal nicht erklären ließen. Und dass dies nicht unbedingt etwas zu bedeuten hatte.
    Wenn das Seil nicht gewesen wäre, hätte der Todesfall ohne weiteres als Unglück oder Selbstmord abgehakt werden können, aber jetzt war es da und scheuerte in Thomas’ Gedanken ungefähr so wie ein kleiner Stein im Schuh.
    Er beschloss, zu Krister Berggrens Wohnung zu fahren und sich einen Eindruck davon zu verschaffen, wie er gelebt hatte. Vielleicht gab es einen Abschiedsbrief oder andere Anhaltspunkte, die Licht in die Sache bringen konnten.
    Krister Berggrens Wohnung lag im Außenbezirk von Bandhagen, einem Vorort im Süden Stockholms.
    Thomas parkte sein Auto, einen Volvo 945, der bereits acht Jahre auf dem Buckel hatte, am Bürgersteig und sah sich um. Die Häuser in der Gegend waren typische Fünfzigerjahre-Wohnblocks aus gelbem Backstein, vierstöckig und ohne Fahrstuhl. Ein Block reihte sich an den anderen. Am Straßenrand parkten nur wenige Autos. Ein alter Mann mit Schiebermütze schleppte sich mit seinem Rollator mühsam den Bürgersteig
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher