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Toedliche Spiele

Toedliche Spiele

Titel: Toedliche Spiele
Autoren: Suzanne Collins
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streifen durch die Straßen. Und eines Tages sieht man sie reglos an einer Wand sitzen oder auf der Weide liegen, man hört das Wehklagen aus einem Haus und die Friedenswächter werden herbeigerufen, um die Leiche abzuholen. Offiziell ist nie Hunger die Todesursache. Immer ist es Grippe, Kälte, Lungenentzündung. Aber davon lässt sich niemand täuschen.
    Am Nachmittag meiner Begegnung mit Peeta Mellark fiel eiskalter Regen in Strömen. Ich war in der Stadt gewesen und hatte versucht, Prims abgewetzte Babysachen auf dem Markt zu verkaufen, aber es gab keine Abnehmer. Obwohl ich mit meinem Vater schon ein paarmal auf dem Hob gewesen war, traute ich mich nicht allein an diesen rauen, düsteren Ort. Die alte Jagdjacke meines Vaters war durchweicht vom Regen und ich fror bis auf die Knochen. Seit drei Tagen hatten wir nichts als heißes Wasser mit ein paar vertrockneten Pfefferminzblättern zu uns genommen, die ich ganz hinten in einem Küchenschrank gefunden hatte. Als der Markt schloss, zitterte ich so heftig, dass ich mein Bündel mit den Babysachen in eine Schlammpfütze fallen ließ. Ich hob es nicht auf, weil ich Angst hatte, ich könnte umkippen und nicht wieder hochkommen. Und sowieso wollte niemand die Kleider haben.
    Ich konnte nicht nach Hause gehen. Zu Hause waren meine Mutter mit ihren toten Augen und meine kleine Schwester mit den eingefallenen Wangen und aufgesprungenen Lippen. Ich konnte nicht mit hoffnungsleeren Händen in diesen Raum zurück, in den Qualm des Feuers aus feuchten Ästen, die ich am Waldrand aufgelesen hatte, nachdem uns die Kohle ausgegangen war.
    Allein stolperte ich durch eine matschige Gasse hinter den Läden, in denen die wohlhabenden Stadtbewohner einkaufen. Die Händler haben die Wohnungen über ihren Geschäften, sodass ich mich sozusagen in ihren Gärten befand. Ich erinnere mich an die Umrisse der Beete, die noch nicht für das Frühjahr bepflanzt waren, ein oder zwei Ziegen in einem Pferch, einen durchnässten Hund, der an einen Pflock gebunden war, resigniert im Dreck zusammengekauert.
    In Distrikt 12 ist jede Art von Diebstahl verboten. Darauf steht der Tod. Aber mir kam in den Sinn, dass ich vielleicht in den Mülltonnen etwas finden könnte, und die Mülltonnen waren Freiwild. Vielleicht einen Knochen beim Metzger oder verfaultes Gemüse beim Lebensmittelhändler, etwas, das niemand essen wollte außer meiner verzweifelten Familie. Unglücklicherweise waren die Mülltonnen gerade geleert worden.
    Als ich beim Bäcker vorbeikam, überwältigte mich der Geruch von frisch gebackenem Brot so sehr, dass mir schwindlig wurde. Die Backöfen befanden sich im hinteren Teil des Hauses und ein goldener Schein strömte durch die offene Küchentür. Gebannt von der Hitze und dem köstlichen Duft stand ich da, bis der Regen dazwischenkam, mit Eisfingern meinen Rücken entlangfuhr und mich ins Leben zurückzwang. Ich hob den Deckel der Bäckersmülltonne und fand sie unbarmherzig leer.
    Plötzlich schrie mich jemand an. Ich sah auf und erkannte die Bäckersfrau. Ich solle weitergehen, ob sie die Friedenswächter rufen müsse und überhaupt sei sie es leid, wie diese Gören aus dem Saum ständig in ihrem Müll wühlten. Es waren hässliche Worte und ich konnte mich nicht verteidigen. Als ich vorsichtig den Deckel wieder schloss und zurückwich, sah ich ihn: einen blonden Jungen, der hinter dem Rücken seiner Mutter hervorspähte. Ich kannte ihn aus der Schule. Er war in meinem Jahrgang, aber ich wusste nicht, wie er hieß. Wie auch, er war ja immer mit den Stadtkindern zusammen. Seine Mutter ging grummelnd in die Backstube zurück, er aber muss mich beobachtet haben, wie ich um den Pferch herumging, in dem sie ihr Schwein hielten, und mich an die Rückseite eines alten Apfelbaums lehnte. Mir war auf einmal klar geworden, dass ich nichts mit nach Hause bringen konnte. Meine Knie gaben nach und ich rutschte am Stamm herunter bis zu den Wurzeln. Es war zu viel. Ich war zu krank und schwach und müde, unendlich müde.
Sollen sie doch die Friedenswächter rufen und uns ins Gemeindeheim bringen,
dachte ich.
Oder noch besser, lasst mich gleich hier im Regen sterben.
    Aus der Bäckerei drang Geklapper, ich hörte die Frau wieder schreien und dann einen Schlag. Ich fragte mich, was da vorging. Füße stapften durch den Matsch auf mich zu und ich dachte:
Das ist sie. Sie kommt, um mich mit dem Stock zu vertreiben.
Aber es war nicht sie. Es war der Junge. In den Armen trug er zwei große Laibe Brot,
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