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Tödliche Fortsetzung - Bischoff, M: Tödliche Fortsetzung

Tödliche Fortsetzung - Bischoff, M: Tödliche Fortsetzung

Titel: Tödliche Fortsetzung - Bischoff, M: Tödliche Fortsetzung
Autoren: Marc-Oliver Bischoff
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Wäschespinne streckte ihre nackten Gliedmaßen in den Himmel. Im Sonnenlicht spielte ein kleines Mädchen Gummitwist. Sie hatte blonde Zöpfe und trug ein rosa Trägerkleid. Ihre Schuhe klatschten bei jedem Sprung auf den Asphalt, die Zöpfe hüpften auf und ab, und sie sang vor sich hin.  
    Die Haut ihrer nackten Beine ist so weiß wie das unbeschriebene Blatt Papier auf meinem Bildschirm, ging es ihm durch den Kopf. Ich.  
    Kanther wusste nicht einmal den Namen der Kleinen, sie war erst vor ein paar Tagen mit ihrer Mutter eingezogen. Mit einem Mal schaute das Mädchen auf. Es entdeckte Kanther am Fenster und winkte ihm zu. Der erschrak, zögerte einen Augenblick, fühlte sich ertappt. Dann hob er die Hand und erwiderte kaum sichtbar ihren Gruß. Er lächelte. Schließlich wich er vom Fenster zurück.
    Sein Blick fiel auf den Messerblock neben dem Herd. Eingehend musterte er ihn, so wie ein Pathologe sein Sezierbesteck in Augenschein nimmt. Er zog das große Fleischmesser heraus, drehte die polierte Klinge und ließ sie in dem schmalen Sonnenstrahl aufblitzen, der durch die Fensterscheibe fiel.  
    Kanther wartete und wischte sich erneut Schweißperlen von der Stirn. Er dachte an gestern: Ich würde mich wohler fühlen, wenn ich mich erinnern könnte, wo ich in der Nacht war. Wie ich nach Hause gekommen bin und was mit dem Geld in meiner Brieftasche passiert ist. So etwas hätte ihn normalerweise kaltgelassen, aber den dritten Blackout in drei Wochen fand er durchaus beunruhigend. Höchste Zeit, seinen Hausarzt anzurufen.
    Ein Piepton durchbrach die Stille. Als er den Teller aus der Mikrowelle nahm, verbrannte er sich die Finger am heißen Steingut und fluchte. Er schnitt die Pizza in gleichmäßig große Teile und balancierte Teller, Glas und Weinflasche durch den Flur. In Höhe des Arbeitszimmers ließ ihn ein ungewohntes Geräusch innehalten. Er drückte mit dem Ellenbogen die Tür auf. Er trat an den PC heran. Das leere Blatt war hinter einer Meldung am Bildschirm verschwunden: Sie haben eine neue Nachricht .  
    Er wischte mit dem Ellenbogen einen Stapel Dokumente vom Schreibtisch, um Platz zu schaffen, und stellte Teller und Flasche ab. Mit einem Klick öffnete er die E-Mail und las.
     
Von:
[email protected]
An:
[email protected]
Betreff:
Lektorat
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    Sehr geehrter Herr Kanther,
    bitte verzeihen Sie meinen unangekündigten Überfall. Ich bin seit vielen Jahren ein großer Verehrer Ihrer Kunst, ja ich darf sagen, Ihr Vorbild hat mich überhaupt erst dazu gebracht, selbst mit dem Schreiben zu beginnen. Nun befinde ich mich auf dem besten Weg, ein professioneller Schriftsteller zu werden (wie Sie!), denn ich arbeite an einem Roman. Ich möchte nicht zu viel verraten, aber ich bin mir sicher, das Thema wird Ihnen zusagen. Denn ich habe ein Anliegen an Sie: Ich möchte Sie bitten, mein Manuskript gegenzulesen und es auf mögliche Schwächen abzuklopfen. Im Laufe der nächsten Monate würde ich Ihnen die einzelnen Kapitel per E-Mail zuschicken. Für Ihre Bemühungen könnte ich Sie wie folgt entlohnen …
     
    Kanther war fassungslos. Dann goss er sich ein halbes Glas ein. Nach kurzem Überlegen schenkte er nach.
    Dass diese E-Mail ihn erreicht hatte, grenzte an ein Wunder, denn Kanthers Mailadresse war nur wenigen Menschen bekannt. Genau genommen konnte er auf Anhieb nur drei Leute benennen, die wussten, wie sie ihn erreichen konnten. Andererseits war es heute im Internet wohl nicht besonders schwierig, Kontaktdaten herauszufinden, jedenfalls las man das ständig.
    Kanther ging die Nachricht erneut durch. Hatte sich jemand einen Scherz mit ihm erlaubt? Jemand, der wusste, wie es um ihn bestellt war?  
    Sein Roman Drachentöter , der vor zwanzig Jahren veröffentlicht worden war, hatte ihm damals reichlich Tantiemen eingebracht, genug, um seinen ausschweifenden Lebensstil zu finanzieren. Aber nun floss nur noch ein Rinnsal, gerade genug, um seine Lust auf billigen Rotwein und Kognak zu stillen und einmal im Monat im Restaurant eines großen Möbelhauses essen zu gehen.  
    Aber Hermann Rittka klang nicht wie jemand, der sich einen Spaß mit ihm erlaubte. Redete Kanther sich zumindest ein. Er wollte an einen Menschen glauben, der ihn bewunderte, den sein Buch dazu gebracht hatte, sein Leben zu ändern, und der bereit war, ihm Geld für die Begleitung seiner vermutlich grauenhaften literarischen Gehversuche zu bezahlen. Es war kein unmoralisches Angebot. Es war
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