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Tödliche Fortsetzung - Bischoff, M: Tödliche Fortsetzung

Tödliche Fortsetzung - Bischoff, M: Tödliche Fortsetzung

Titel: Tödliche Fortsetzung - Bischoff, M: Tödliche Fortsetzung
Autoren: Marc-Oliver Bischoff
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nur ’ne Nutte. Da hat sich keiner besondere Mühe gegeben, die Bullen schon gar nicht. Die waren froh über eine weniger aufm Strich. Bei den anderen hab ich’s genauso gemacht.«
    Eine tote Prostituierte interessierte vermutlich wirklich niemanden. Aber vier Prostituierte und ein unbescholtenes Mädchen?
    »So viele tote Frauen in einer Stadt, alle erhängt – und den Bullen ist nichts aufgefallen?«
    »Nicht in einer Stadt. Ich war viel unterwegs, hab Zeug für den Boss herumgekarrt. Eine, nein wart mal, zwei in Frankfurt, eine in Berlin, eine in Hannover. Das mit dem Mädchen war in einem Kaff in der Eifel, wo ich auf Durchreise war. Die hab ich verschwinden lassen.«
    Der Jüngere war sprachlos. In der Dunkelheit erschien vor seinen Augen ein Bild. Verschwommen zuerst, mit blassen Farben, dann klarer.
    Eine Frau mit Lockenwicklern, knapp über dreißig, dunkles Haar, fülliges Gesicht, stämmiger Körper im Hauskleid. Ein blauer Seidenschal eng um den Hals geschlungen. Das andere Ende des Schals ist an ein Wasserrohr geknotet, von dem der Lack abplatzt. Kot und Urin auf den Fliesen. Er nimmt den stechenden Geruch wahr. Ihre gebrochenen Augen treten aus den Höhlen hervor wie Tischtennisbälle, der Mund ist im stummen Schrei aufgerissen. Seine Mutter besitzt an diesem 12. Juni 1976 sogar noch den Nerv, ihrem zehnjährigen Sohn das Mittagessen auf den Tisch zu stellen, bevor sie sich das Leben nimmt.
    Er schüttelte heftig den Kopf, um die Bilder der Vergangenheit zu vertreiben. In seinem Inneren fühlte er etwas erwachen, wie ein Tier mit gefährlich scharfen Zähnen, das bisher Winterschlaf gehalten hatte.
    »Warum erzählst du mir das alles?«, wunderte er sich.
    »Weil wir Freunde sind. Weil du schon damals im Albanus mein einziger echter Freund warst.«
    Mit einem Mal traf ihn die Erkenntnis wie ein Blitzschlag. »Hast du das damals mit Pater Seraphin genauso gemacht?«
    Im selben Moment wurde ihm klar, welche Unterstellung in seiner Frage lag. ›Ich hab sie gewürgt, während sie mir einen geblasen hat.‹ Dass der ehrwürdige Pater seinem Zellenkumpel damals im Kinderheim gerne einen geblasen hät te, konnte er sich bei dem alten Drecksack lebhaft vorstellen. Eines Tages hatte Seraphin tot von der Deckenlampe gebaumelt, die blaue geschwollene Zunge aus dem Mund hervorquellend wie eine Schlange. Sein Tod war eine Tatsache, die kein Junge im Albanus Kinderheim in Bochum sonderlich bedauert hatte.
    Warum sein Freund noch am selben Abend aus dem Heim verschwunden war, wusste nur er selbst. Aber vielleicht gab es da gar keinen Zusammenhang.
    Er hörte auf dem oberen Bett schwere Atemzüge. Die Antwort des anderen erklang unvorsichtig laut. »Pass auf, was du sagst. Sonst hängst morgen du an der Decke.«
    Es dauerte keine zehn Sekunden, da wurde die Kontrollklappe der Zellentür aufgerissen. Der Jüngere erkannte durch die Öffnung den graugrünen Kragen und den Krawattenknoten der Uniform der hessischen Vollzugsbeamten. Der Schließer beugte sich hinunter. Ein Augenpaar spähte in den Raum und als es nichts Verdächtiges entdeckte, brachte der Mann seinen akkurat geschnittenen Schnauzbart vor die Klappe. »Ruhe da drinnen, Zapfenstreich!«
    Scheppernd fiel die Klappe wieder zu und wurde verriegelt.
    Die Männer lagen auf ihren Matratzen und rührten sich nicht. Sie schwiegen, wünschten sich nicht einmal eine gute Nacht. Die beiden Insassen von Zelle hundertsechsundzwanzig im Zellenblock C hingen eine Weile ihren Gedanken nach. Dann fiel der andere in einen tiefen traumlosen Schlaf.  
    Der Jüngere starrte noch einige Stunden in die Dunkelheit. Er fand keine Ruhe. Zum ersten Mal seit dreizehn Jahren hatte er wieder Angst davor einzuschlafen.

2010
2. März
    Der Anruf erreichte Kriminalkommissarin Nora Winter auf dem Weg von der Cafeteria zu ihrem Büro. Als sie die Nummer auf dem Display ihres Handys sah, zögerte sie einen Augenblick.  
    Die Wache im Erdgeschoss des Frankfurter Polizeipräsidiums nahm gerne die Hilfe der Psychologin in Anspruch, wenn sie es mit weiblichen ›Problemfällen‹ zu tun hatte. Auch mit solchen, die die Kollegen eigentlich ganz gut ohne Noras Unterstützung lösen konnten.
    »Frau Kommissarin? Hier ist die Wache. Würde es Ihnen was ausmachen, kurz herunterzukommen? Ich habe hier eine junge Dame aus der Ukraine, die ihre Anzeige zurückziehen will.«
    »Um welches Delikt geht es denn?«
    »Körperverletzung, wie es aussieht. Und Frau Winter: Vielleicht besorgen Sie einen
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