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Töchter auf Zeit

Töchter auf Zeit

Titel: Töchter auf Zeit
Autoren: Jennifer Handford
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Sonogramm. »Ein Embryo hat sich eingenistet.«
    »Einer«, wiederholte ich. Insgeheim hatte ich mir gewünscht, dass es vielleicht zwei geschafft hätten, falls später noch einer abgehen sollte.
    »Wir sind noch nicht über dem Berg«, sagte Dr. Patel. »Immer mit der Ruhe! Wir sehen uns in einer Woche wieder.«
    Ein Woche verging, dann ein Monat, dann ein Vierteljahr. Bei jeder Ultraschalluntersuchung konnten wir mit eigenen Augen sehen, dass unsere kleine Bohne immer größer wurde. Ehe wir uns versahen, war ich in der vierzehnten Woche und wir saßen wieder einmal in Dr. Patels Büro. Seine Assistentin Carly gab Gel auf meinen Bauch und verstrich es mit der Sonde. Sie teilte uns mit, dass sie sämtliche Organe erkennen konnte und sogar die Herzkammern. Dann maß sie den Kopfumfang unseres wunderschönen Babys und zählte zehn Finger und zehn Zehen.
    »Carly, jetzt sagen Sie schon. Ich platze vor Neugier!«
    »Ach so!«, tat Carly ganz überrascht. »Sie wollen also wissen, ob es ein Mädchen oder ein Junge ist?«
    Carly versuchte, die Sonde genau über die entscheidende Stelle zwischen den Beinen des Babys zu platzieren.
    »Überraschung! Es ist ein Mädchen!«
    »Hast du das gehört, Sam? Du kriegst eine kleine Schwester!«
    Sam klatschte in die Hände, offenbar verband sie den Begriff
Schwester
mit etwas Gutem.
    Anfang der neunzehnten Woche stand eine 3-D-Ultraschalluntersuchung an. Eigentlich war sie gar nicht nötig, aber Dr. Patel hatte sie uns angeboten, da dieses Gerät seine neueste Errungenschaft war. Sobald ich auf der Liege Platz genommen hatte, kam Carly herein und schaltete das Gerät ein, was Sams Aufmerksamkeit erregte. Sie ließ ihr Spielzeug fallen, zog an Tims Unterlippe und knuffte ihm in den Bauch. Dann starrte sie abwechselnd auf meinen Bauch und das Ultraschallgerät und verfolgte genau, wie Carly das Gel auf meinem Bauch verteilte.
    Mit einem Mal zeigte der Bildschirm etwas an, was wir noch nie zuvor gesehen hatten. Es war keine Schwarz-Weiß-Aufnahme, sondern eher strahlend gelb mit einem Hauch Gold. Es kam mir vor, als würden wir mitten in eine Murmel blicken. Und dann konnten wir es sehen, unser Baby. Ein perfektes Bündel in Nierenform, die Hände vor dem Gesicht und einen Daumen im Mund.
    »Sam, kannst du sie sehen?« Ich sah hinüber zu Sam, deren Mund weit offen stand und die ihre Augen nicht mehr von ihrer kleinen Schwester abwenden konnte.
    Das Erstaunliche war, dass wir sie wirklich sehen konnten: den Schwung ihrer Lippen, das süßeste Profil aller Zeiten, und … war das wirklich ein Grübchen in ihrem Kinn? Und hohe Wangenknochen, die ihr kleines Gesicht zu einem perfekten Herz (danke, Claire) formten, zwei niedliche Ärmchen, die aussahen wie zwei Seidenbänder, die von ihren Schultern herabhingenund in langen Fingern endeten, die wohl wie geschaffen für das Klavierspiel waren.
    Carly druckte uns einen ganzen Bogen mit lauter Ultraschallaufnahmen aus. Sie gab sogar Sam welche, die sie so aufmerksam studierte, als handele es sich um Sterne auf einer Sternenkarte.
    »Ich denke nicht, dass Sams leibliche Mutter jemals eine Ultraschalluntersuchung hatte«, sagte Carly. »Na ja, wenn das gemacht worden wäre, dann wohl, weil man Sams Mutter wegen der Geschlechtsbestimmung dazu gezwungen hätte. In Sams Fall hätte das aber kein gutes Ende genommen. Sie kann von Glück sagen, dass sie bei Ihnen und Tim gelandet ist.« Viele Menschen hatten mir im Laufe des vergangenen Jahres mitgeteilt, dass Sam ein Glückskind war. Ich denke, ihr Glück bestand darin, dass ihre leibliche Mutter sie an einem Ort ausgesetzt hatte, wo sie gefunden werden konnte. Nur so hatte sie im Winter im Freien überleben können. Doch mir ist nie in den Sinn gekommen, dass Tim und ich selbstlos wären. Ich war die Erste, die offen dazu stand, dass meine Motive eigennützig waren. Ich wollte ein Baby – ein Baby, dem ich meine Liebe schenken konnte und das meine Liebe erwidern würde. In unserem Fall hatte das ja auch funktioniert. Wir hatten alle drei gleichermaßen davon profitiert. In meinen Augen hatten wir einen perfekten Handel geschlossen.
    Nach dem Mittagessen fuhren wir Tim ins Harvest und dann weiter ins St. Mary’s. Wir kamen gerade noch rechtzeitig, um Maura abzuholen. Ich entdeckte meine Nichte auf dem Bürgersteig, vertieft in ein angeregtes Gespräch mit einem anderen Kindergartenkind. Sie sah bezaubernd aus in ihren kurzen Jeans und der grünen Bluse. Nächstes Jahr müsste sie eine
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