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Todeszauber

Todeszauber

Titel: Todeszauber
Autoren: Petra Würth
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entgangen war, was allen anderen den Atem stocken ließ: der Ausdruck des Entsetzens auf Monettis Gesicht und ein roter Fleck auf seiner Stirn. Falls das zur Show gehörte, hatte Monetti einen verdammt makabren Humor. Ich schaute zu der Assistentin hinüber. Sie ließ die Pistole fallen, ihre Hände zitterten. Da war ich mir sicher, dass etwas schiefgegangen war.
    Sarah tastete nach meinem Arm. »Was soll das?«
    »Ich weiß nicht«, sagte ich mit flacher Stimme.
    »Der steht doch gleich wieder auf, oder?«
    »Vorhang!«, rief jemand hinter der Bühne.
    Langsam und ein wenig in den Schienen knirschend bewegten sich die beiden Vorhanghälften von den Seiten bis zur Bühnenmitte. Der Körper des Magiers verschwand hinter dem schweren dunkelroten Stoff. Plötzlich begannen alle zu reden, das Gemurmel wurde untermalt von sanft plätschernder Klaviermusik, die aus den Lautsprecherboxen drang.
    Sarah sah mich auffordernd an. Irgendetwas musste ich tun.
    »Ich schau mal nach«, sagte ich zu Sarah und streichelte ihre Hand. »Bin gleich wieder da.«
    Ich stieg auf die Bühne und schob mich durch den Vorhangspalt in der Mitte. Die beiden jungen Männer, die die Glasscheibe getragen hatten, beugten sich über Monetti. Anna kniete neben ihm und redete, seinen Arm umklammernd, in ihrer Muttersprache auf ihn ein. Meine Spanischkenntnisse reichten gerade aus, um das Wort muerto zu verstehen. Und tot war Monetti tatsächlich. Der starre Blick und die wächserne Gesichtsfarbe ließen keinen anderen Schluss zu.
    »Verschwinden Sie!«, hörte ich eine aufgeregte Frauenstimme. »Sie haben hier nichts verloren.«
    Ich schaute hoch. Eine Frau in olivfarbenen Cargohosen und braunem Pullover baute sich vor mir auf. Ihr energischer Ton und das übergestülpte Headset mit Ohrknopf und schmalem Mikro wiesen sie als jemanden aus, der hinter der Bühne Anweisungen gab.
    »Hören Sie!« Ich hob beruhigend die Hände. »Wir sind alle schockiert. Es bringt nichts, uns gegenseitig anzuschreien. Das Wichtigste ist jetzt, die Polizei und einen Krankenwagen zu verständigen.«
    »Sie sollen verschwinden, habe ich gesagt!«
    »Halt deinen Mund!« Anna war aufgesprungen und sah aus, als wollte sie sich auf die Frau im Rollkragenpullover stürzen.
    Ich packte Annas Schultern und zog sie ein Stück zurück. »Beruhigen Sie sich!«
    Zuerst funkelte sie mich an, dann wurde ihr Blick glanzlos und ein heftiges Zittern durchlief ihren Körper. Ich legte meinen Arm um ihre Hüfte und hielt sie fest.
    »Holen Sie einen Stuhl und eine Decke!«, sagte ich zu einem der Bühnenhelfer. »Die Frau hat einen Schock.«
    Bis er das Gewünschte gebracht hatte, lehnte Annas Kopf an meiner Schulter. Dabei flüsterte sie Sätze, die an niemanden oder die ganze Welt gerichtet waren. Am wenigsten vermutlich an mich.
    Ich schob die Assistentin auf den Stuhl und legte ihr die Wolldecke über die Schultern. »Meine Tochter befindet sich unten im Zuschauerraum. Deshalb muss ich Sie jetzt allein lassen. Aber ich würde gern mit Ihnen reden. Morgen oder übermorgen. Wenn Sie sich dazu in der Lage fühlen. Hier!« Ich drückte ihr meine Visitenkarte in die Hand. »Rufen Sie mich an!«
    Sie nickte mechanisch, doch ihre Augen verrieten nicht, ob sie meine Worte verstanden hatte.
    Ich nahm den Helfer ein Stück zur Seite. »Sorgen Sie dafür, dass die Frau ärztlich versorgt wird. So ein Schock kann lebensgefährlich sein.«
    Inzwischen hatte die Bühnenmanagerin die beiden Clowns vor den Vorhang geschickt. Sie redeten von einem Unfall. Monetti sei verletzt und auf dem Weg ins Krankenhaus, allerdings gehe es ihm bereits wieder besser. Was man so lügt, um die Leute zu beruhigen und das Geschäft nicht zu vermiesen.
    Sarah wartete am Bühnenrand. »Es ist also nicht so schlimm?«, fragte sie, noch bevor ich zu ihr hinuntergeklettert war.
    Ich überlegte einen Moment, ob ich mit den Clowns gemeinsame Sache machen sollte. Doch spätestens am nächsten Tag würde Sarah ohnehin die Wahrheit erfahren. »Der Magier ist tot«, sagte ich. »Komm! Lass uns nach Hause fahren.«
    Während wir uns durch die Reihen zum Ausgang bewegten, baten die Moderatoren um Verständnis, dass die übrigen Künstler sich nicht in der Lage sähen, die Vorstellung fortzusetzen. Die Geschäftsführung würde sich jedoch außerordentlich großzügig zeigen und alle Anwesenden zu einem weiteren, kostenlosen Besuch einladen, man müsse nur die heutige Eintrittskarte vorzeigen.
    Schweigend verließen wir das Varieté.
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