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Todesfuge: Gerda und Otto Königs zweiter Fall (German Edition)

Todesfuge: Gerda und Otto Königs zweiter Fall (German Edition)

Titel: Todesfuge: Gerda und Otto Königs zweiter Fall (German Edition)
Autoren: Sabine Wierlemann
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Bodenlose, im Angesicht seines größten Erfolgs. Sein Triumpf würde sein Ende sein.
    Der Hochaltar war ein barockes Kunstwerk der perfekten Täuschung. Die Marmorsäulen, die dem imposanten Altar Glanz und Gewicht verliehen, waren eine Illusion. Bemalter Gips, der die Gläubigen in Ehrfurcht erstarren lassen sollte. Heute würden sie Zeugen werden, wie ein musikalisches Trugbild zerplatzte. Das Volk der süchtigen Kunstanbeter sollte die Augen öffnen und erfahren, dass der schöne Schein nur eine Täuschung und hinter Wellensteins glänzender Fassade nur ein kleines Licht leuchtete.
    Der Altar verbarg sein Geheimnis so geschickt, dass keiner der Sicherheitsleute die kleine Tür bemerkt hatte, die sich an der Hinterseite befand. Was man nicht kannte und vermutete, danach suchte man nicht.
    Es war dunkel im Innern des Altars. Mit der Zeit hatten sich die Augen allerdings an die Finsternis gewöhnt und die spärlichen Lichtstrahlen, die durch die kleinen Ritzen im Holz drangen, reichten aus, um sich in der Enge zu orientieren. Die Zeit des Wartens war lang und unbequem. Aber es gab keinen anderen Weg und das Ziel lohnte alle Anstrengungen.
    Die Leiter innen im Altar war schmal und trug nur ein leichtes Gewicht. Ursprünglich waren es wohl die Messdiener-Buben gewesen, die im letzten Jahrhundert dafür sorgten, dass am fünfzehnten September, dem Fest zum Angedenken an die Schmerzen Mariens, vorn am Altar Tränen aus den Augen der Marienstatue, einer mater dolorosa , flossen. Heute würde es kein Marienwunder geben, denn die Zuhörer beteten den falschen Gott an. Erst musste dieses Götzenbild fallen, bevor die Menschen sich mit geläutertem Herzen der wahren, der göttlichen Musik würden zuwenden können.
    Alle Vorbereitungen waren getroffen, der Entschluss stand fest . Es gab kein Zurück. Am Ende der Leiter konnte man eine kleine Luke öffnen und den Altarinnenraum verlassen. Wenn man heraustrat und sich oben auf das Altardach stellte, war man immer noch vor den Blicken der Menschen verborgen, die sich im Kirchenschiff aufhielten, denn die barocke Umrahmung des Altarbildes auf der Vorderseite war so ausladend, dass man sich problemlos dahinter verstecken konnte. Alles für den letzten Auftritt lag bereit, der richtige Augenblick war bald da, der Chor begann seine letzte große Phrase.
     
    Dona nobis pacem.                            Gib uns den Frieden.
     
    Bevor der letzte Ton verklungen war und während die Zuhörer noch die Spannung spürten, die solange bestand, wie der Dirigent den Taktstock erhoben hielt, geschah es. Wellensteins persönlicher Rache-Engel stürzte vom Himmel. Das Seil entrollte sich und mit einem kräftigen Ruck zog sich der Knoten, der innen an der Leiter befestigt war, fester zu.
    Den Kopf in der Schlinge, die Gliedmaßen leblos, schwebte der Engel an einem festen Seil anklagend hin und her. Statt des befreienden Applauses, den der Maestro jetzt, da das Konzert vollbracht war, erwartete, schlug ihm aus hunderten von Kehlen ein gewaltiger Schrei des Entsetzens entgegen. Ungläubig schauten die Menschen nach oben und Gerda wandte wie alle anderen Mitglieder der Kantorei den Kopf und da sah sie ihn auch. Schräg hinter dem Chor baumelte an einem langen Strick ein junger Mann, dessen Augen im Angesicht des Todes schreckgeweitet waren. Sein Körper bewegte sich durch die Wucht des Sprungs, die ihm das Genick gebrochen hatte, vor dem Altar hin und her. Die Augen der Marienstatue, welche die Kreuzigung, die auf dem Altarbild dargestellt war, mit schmerzlicher Geste verfolgte, blieben trocken.
    Wellenstein hatte Michael sofort erkannt. Ihm fiel der Taktstock aus der Hand, das Kinn sank ihm auf die Brust und er bedeckte die Augen mit seinen Händen. Seine Bitte nach Frieden war nicht erhört worden. Jetzt war zwar alles vorbei, Michael war tot, aber Wellenstein wusste auch, dass nichts mehr so sein würde wie zuvor. Das Ende war erst der Beginn.
     
     

- 28 -
    Drei Wochen später / Nachgedanken
     
    Das Meer war heute ruhig, keine Wolke stand am Himmel. Gerda und Otto hatten es sich in ihren Liegestühlen auf dem Oberdeck bequem gemacht. Otto genoss die milde Sonne und beobachtete die anderen Passagiere. Gerda war in ihre Lektüre vertieft. Endlich hatte sie Zeit, in Ruhe zu lesen. Sie hatte sich einen ganzen Stapel Kriminalromane mitgebracht, aber auch einige populärwissenschaftliche Titel zu den Themen Verbrechen und Tod. Otto wollte sich in der Zeit auf dem Schiff
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