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Todesfessel - Franken-Krimi

Todesfessel - Franken-Krimi

Titel: Todesfessel - Franken-Krimi
Autoren: Volker Backert
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selben Jahr Tim, 1992 Valerie … und dann wird Timmi überfahren, nur weil ich ihn einen Moment von der Hand lasse, um dieser blonden Studentin den Weg zum Hirschgarten zu erklären …
    Eine Sekunde meines Lebens, dachte Charly.
    Er hörte, wie das eiserne Friedhofstor quietschte.
    Eine einzige Sekunde nur – die meinen kleinen Sohn das Leben kostete und meine Frau in den Wahnsinn trieb.
    Was hab ich damals gesoffen in München. Nur um mich wegzubeamen. Nur um nicht mehr drüber nachzudenken … und du warst so lang allein, im fünften Stock in Berg am Laim, mit der kleinen Valerie … es war der Anfang vom Ende … mein Entzug und die Versetzung nach Coburg konnten die Scheidung nicht mehr aufhalten … erst recht nicht deinen psychischen Absturz … du warst jahrelang unter starken Medikamenten, vier Selbstmordversuche …
    Und dann, nach Jahren, urplötzlich, diese irrsinnige Hoffnung auf ein Happy End … vor zwei Jahren, nach dem »Haus vom Nikolaus« … plötzlich ging es dir immer besser … Nie werde ich den Tag vergessen, an dem wir in Kutzenberg, im Garten der Nervenklinik, unter den alten Apfelbäumen, auf dem Bänkchen in der Septembersonne saßen … du hast meine Hand genommen, hast mich angestrahlt aus deinen meergrünen Augen … wir haben gelacht, haben Pläne geschmiedet, wollten noch mal ganz neu anfangen …
    Und in der Nacht darauf gehst du ganz normal ins Bett und wachst einfach nicht mehr auf …
    Die Zigarette war erloschen, bis auf den Filter heruntergebrannt.
    Charly fuhr sich über die Augen und sah sich dann verstohlen um. Keine Menschenseele war auf dem Wildenheider Friedhof zu sehen.
    Behutsam, fast zärtlich, vergrub er mit bloßen Händen die Kippe in der Erde.
    Wie jedes Jahr.
    Direkt an Andreas Grabstein.
    Schloss Hohenstein, Ahorn bei Coburg, 23:37 Uhr
    »Stayin’ alive, stayin’ alive, ah-ah-ah-ah stayin’ alive!«, dröhnte der Falsettgesang der Bee Gees aus den Boxen im Gewölbesaal von Schloss Hohenstein. Auf der kleinen Tanzfläche feierte eine kleine, aber feine Gesellschaft sich selbst – und ihre schon ein paar Jährchen zurückliegende Jugend.
    Und wir vom Landestheater sind für diese Schickimickis doch nur Staffage, dachte Kim LaYoung. Die Primaballerina des Coburger Landestheaters stand an der Bar und nippte verdrossen an ihrem Tomatensaft. Verächtlich ließ sie ihren Blick über die illustre Gästeschar schweifen.
    Zweihundert Geladene bei »Victors Atelierfest«, dem alljährlichen Highlight für die regionale High Society. Vom MdB und MdL über Makler, Unternehmer und Großgastronomen bis hin zu Bankern, Ärzten und einem leibhaftigen Bordellbesitzer samt repräsentativer Mitarbeiterinnenvertretung. Alle kamen, wenn er rief: Victor, der Hofnarr der Coburger Lokalprominenz – Werbefotograf, Visagist und Bodypainter, selbst ein lebendes Gesamtkunstwerk. Vor zwei Jahren erst hatte er seinen Wirkungskreis von München nach Coburg verlegt und war dort in kürzester Zeit zum Shootingstar der überschaubaren lokalen Szene avanciert. Und wir vom Landestheater spielen natürlich mit, grollte Kim, nur weil er uns mit seinem Reinerlös unterstützt …
    »… stayin’ alive!«, grölte es plötzlich an ihrem Ohr, gierig presste sich ein Mann an sie, »ah-ah-ah-ah stayin’ alive!« Erschrocken und wütend zugleich versuchte sie, sich aus dem unverschämten Zugriff zu entwinden. »Hey, Kim!« Erst jetzt erkannte sie Dr. Sven Langenau, ihren sichtlich angeheiterten Vermieter, dessen eiserner Griff nicht nachgab.
    »Bleib cool, Baby; du weißt doch, ›Stayin’ Alive‹ ist der perfekte Rhythmus zur Reanimation«, seine Hände schoben sich höher, versuchten, gegen ihren Widerstand ihre Brust zu erreichen, »sixty-seven beats per minute!«
    Er lachte, Kim roch seine Alkoholfahne und drehte sich angewidert weg.
    »Stop it, you’re drunk!«
    »Aber hallo, was ist denn mit euch zwei los?« Victor. »Die Coburger Antwort auf David Bowie«, so beschrieb ihn das Szenemagazin »Mohr« in seiner aktuellen Ausgabe; vermutlich hatte er sich die Formulierung selbst ausgedacht. Als »chamäleonesken, extrovertierten Selbstdarsteller mit stündlich wechselnden Outfits« hatte ihn dagegen das Feuilleton der Nürnberger Frankenzeitung »fz« charakterisiert. Was den fz-Redakteur aber nicht daran hinderte, sich auch heute wieder auf Schloss Hohenstein einzufinden und rundum verwöhnen zu lassen.
    Victor selbst mimte gerade den Woodstock-Veteranen: rotes Stirnband, Nickelbrille,
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