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Tod vor der Morgenmesse

Tod vor der Morgenmesse

Titel: Tod vor der Morgenmesse
Autoren: Aufbau
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draußen mitten im Schneetreiben? Bist du krank? Deine Kleidung ist steif vor Nässe und zerrissen. Haben dich Räuber überfallen?«
    Esumaro hatte Mühe, ihr zu folgen. Sie sprach schnell und sehr deutlich.
    »Mir … mir ist furchtbar kalt«, brachte er heraus.
    Die Frau zog die Brauen zusammen. »Deine Sprache klingt seltsam. Du bist wohl nicht von hier?«
    »Ich … ich komme aus Gallien, Ehrwürdige Schwester«, stammelte er.
    »Gallien liegt ziemlich weit weg. Wenn mich der Schein nicht trügt, bist du gekleidet wie ein Seemann.«
    »Ich bin …«, Esumaro preßte plötzlich die Lippen zusammen. Ihm fiel ein, daß jeder in diesem Land als möglicher Feind anzusehen war, solange man es nicht besser wußte.
    »Was treibt dich hier um?« fuhr die Frau fort. »So im Schnee kann man leicht erfrieren.«
    »Ich war auf einer Wanderung, da hat mich Erschöpfung übermannt.«
    »Du bist gewandert?« Die Frau schaute auf seine Füße und schmunzelte.
    Esumaro sah an sich herunter und wurde gewahr, daß er nur einen Seemannsstiefel trug. Wann er den anderen verloren |27| hatte, daran erinnerte er sich nicht, vielleicht war das geschehen, als er von dem Wrack loskam oder auch erst später.
    Rasch stellte er eine Gegenfrage: »Was tust du hier, Ehrwürdige Schwester? Wer bist du?«
    »Ich bin die Äbtissin Faife vom Kloster Ard Fhearta. Wir sind alle vom Kloster Ard Fhearta. Wir sind auf unserer jährlichen Pilgerfahrt zur Kapelle des Gründers unserer Abtei auf dem Bréanainn-Berg.«
    Mißtrauisch blickte Esumaro zu ihr auf. »Ard Fhearta liegt doch im Norden hinter diesem Bergrücken. Den Bréanainn habe ich draußen auf See ausmachen können, der ist auch auf der Nordseite dieser Halbinsel. Hier aber sind wir auf dem Südufer.«
    Äbtissin Faife wunderte sich zwar, ließ sich aber nichts anmerken. »Für einen Seemann aus Gallien – du bist ja wohl einer – kennst du dich gut aus in dem Gebiet hier. Doch recht zu trauen scheinst du uns nicht. Wir haben zwei Nächte im Kloster Colmán verbracht, wir hatten da etliches zu bereden. Jetzt wandern wir nach Westen auf den Bréanainn. Was macht dich so mißtrauisch?«
    Esumaro fühlte sich leidlich beruhigt.
    »Tut mir leid, Ehrwürdige Schwester«, lenkte er von ihrer Frage ab. »Ich friere und bin hungrig und sehr erschöpft. Verzeih mir, daß ich so frei heraus frage. Gibt es hier irgendwo eine trockene Unterkunft, wo ich mich ausruhen kann?«
    »Hinter uns, nicht weit von hier, ist eine Schutzhütte. Wir können dir etwas zu essen und einen trockenen Umhang dalassen – ja, sogar Schuhe. Die Feuerstelle wird noch warm sein, eben haben wir dort gerastet. Als wir von der Abtei Colmán aufbrachen, war es noch völlig dunkel. Wirst du aufstehen und gehen können?«
    Die Äbtissin beugte sich zu ihm und half ihm auf. Esumaro |28| kam auf die Beine, es schmerzte fürchterlich. Unsicher wankte er hin und her, bis er schließlich sein Gleichgewicht gewann. Die junge Frau neben ihm faßte ihn am Arm und stützte ihn.
    »Und in welcher Richtung liegt die Abtei?« stieß er keuchend hervor.
    »Da im Osten, gar nicht so weit von hier, aber du mußt um die Bucht herum.« Sie deutete mit dem Kopf in die Richtung. »Weit wandern kannst du ohnehin nicht in deinem Zustand.«
    »Danke sehr. Ich werde mich eine Weile ausruhen und mich dann auf den Weg in die Abtei machen.«
    »Du mußt dich aufwärmen, trockene Sachen anziehen und was essen. Komm mit, wir schaffen dich in die Hütte, da kannst du erst mal dein nasses Zeug abstreifen.«
    Esumaro machte eine erschrockene Miene, und die Nonne lächelte.
    »Keine Sorge. Wir haben einen Packen mit Kleidung und Schuhen bei uns für Bruder Maidú, der die Kapelle auf dem Bréanainn versorgt. Der hat ungefähr deine Statur, und seine Kutte wird dir genau passen, wenn du nichts dagegen hast, eine Weile ein Mönchsgewand zu tragen.«
    Äbtissin Faife wandte sich zum Gehen. Gemeinsam mit ihrer jungen Gefährtin half sie Esumaro, ein kurzes Stück über die Schneefläche zu humpeln. Nicht lange, und sie führten ihn auf eine kleine, altertümliche, wie ein Bienenkorb geformte steinerne Behausung zu. Ihm fiel ein, daß die Leute in dieser Gegend so ein Obdach
coirceogach
nannten. Sie stand etwas höher zwischen Bäumen versteckt und war von dem Hauptweg, auf dem sie ihn gefunden hatten, kaum zu sehen. Nur aus dem ringsum zertretenen Schnee ließ sich herleiten, daß vor kurzem jemand hier gewesen war. Auch der Rauch, der sich aus dem kegelförmigen
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