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Titanus

Titanus

Titel: Titanus
Autoren: Eberhardt del'Antonio
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Gesundheitsminister. Das ist ein Auftrag! Ich kann nicht aus persönlichen Gründen mein Amt niederlegen. Doch das allein ist es nicht. Wir sind zu verschieden! Ich bin erst siebzig Jahre alt, das ist ein Drittel meines Lebens. Du aber hast etwa die Hälfte deines Lebens hinter dir, obwohl du erst halb so alt bist wie ich! Außerdem – kennen wir schon alle biologischen Unterschiede? Ich möchte einmal Mutter werden.«
Er nickte wortlos, doch als er die Arme sinken ließ, ergriff sie seine Hände und bettete ihr Gesicht hinein.
    Nasarow und Inoti lehnten an der Balustrade ihres Quartiers. Die Stadt prangte im abendlichen Lichterglanz, die Wipfel der riesigen Bäume rauschten leise. Vielstimmig nahte die Nacht. Es geckerte, zirpte, zwitscherte, pfiff und knarrte, doch nirgends erklang eine Menschenstimme, obwohl allenthalben auf den breiten Wegen Paare wandelten und auch die Terrassen belebt waren.
    »Man könnte Stunden so stehen und lauschen«, raunte Inoti, als vertrüge diese Stimmung kein lautes Wort.
»In einigen Tagen ist alles vorbei«, sagte Nasarow leise. »Dann bleiben uns nur die Filme und die Erinnerung.«
    »Unvorstellbar, daß ich das alles wirklich erlebt habe. Es ist wie ein Ausflug in die Zukunft der Menschheit, wie ein Traum.«
    »Vielleicht ist dieser Traum schon irdische Wirklichkeit«, erwiderte Nasarow nachdenklich. »Dreihundert Jahre Entwicklung – welch ungeheure Zeitspanne! Vergessen wir nicht, was allein in den einhundertfünfzig Jahren vor unserem Start für entscheidende Entdeckungen und Erfindungen gemacht worden sind, und welche gesellschaftlichen Veränderungen…«
    »Man kann die Jahrhunderte vor unserem Start nicht mit dem gleichen Zeitraum danach vergleichen«, sagte Inoti. »Das Entwicklungstempo beschleunigt sich, Entdeckungen und Erfindungen folgen schneller aufeinander, das gesellschaftliche Leben verändert sich rascher. Lagen zwischen der Erfindung der Dampfmaschine und der Erfindung der Dampfturbine einhundertzwanzig Jahre, so folgte dem ersten Tretkurbelfahrrad der erste Kraftwagen schon nach dreißig Jahren, und von den ersten zaghaften Gleitflügen bis zum Motorflug vergingen nur rund zehn Jahre. Und nur fünf Jahre waren es vom Düsenantriebwerk zum Raketenrückstoßtriebwerk mit flüssigen Treibstoffen!«
    Nasarow sann Inotis Worten nach. »Man wird uns nach der Rückkehr als museale Überreste bestaunen. Es wird nicht einfach sein, sich in der neuen Welt zurechtzufinden.«
    »Nach diesem Anschauungsunterricht? Man wird uns helfen!« sagte Inoti, als müßte er Nasarow Mut zusprechen.
»Vielleicht sind, wenn wir zurückkehren, die Menschen schon weiter als die Titanen jetzt? Dreihundert Jahre sind ein gewaltiger Sprung! Stellen Sie sich vor, Isaac Newton, der immerhin mit dem Gravitationsgesetz, der Entdeckung der Spektralfarben und den Bewegungsgesetzen grundlegende Voraussetzungen für die Raumfahrt schuf, der schon sechzehnhundertsiebenundachtzig das Rückstoßprinzip fand und es als das Prinzip bezeichnete, das den Menschen späterer Jahrhunderte den Flug nach den Sternen ermöglichen würde – Isaac Newton wäre in das zwanzigste Jahrhundert verschlagen worden! Wie hilflos hätte er unsern Alltag betrachtet: Elektromotoren, Dampfmaschinen und Turbinen, Generatoren, Kraftwagen, Werkzeugmaschinen, Flugzeuge, Raketen, dazu Betonstraßen, Luftreifen, Glühbirnen, Feuerzeuge, automatische Schreibmaschinen, Filmapparate, Fernschreiber, und vor allem Radios, Fernsehempfänger und Elektronenhirne… Was hätte er zu Atomkraftwerken, Raumstationen und Weltraumschiffen gesagt? Zu Newtons Zeiten raste ja noch die Inquisition durch Frankreich und Spanien, gab es in Deutschland eine Erbuntertänigkeit, in der das Besitzrecht an Leibeigenen vererbt wurde, und in Rußland ähnelte die Leibeigenschaft der Sklaverei!«
Er unterbrach sich und sann vor sich hin.
Inoti sagte langsam in die Stille, daß jedes Wort doppeltes Gewicht gewann: »Zu Newtons Zeiten waren meine Vorfahren noch Freiwild für Sklavenhändler, gab es Negerstämme, die Menschen fraßen. Ich dagegen verließ die Erde als Gleichberechtigter. Es gab schon bei unserem Start im Staatenbund keine Schranken mehr zwischen weiß und schwarz. Schon damals hatten wir den ungeheuren geistigen Rückstand mit Hilfe der weißen und der gelben Brüder aufgeholt, waren wir ein gleichwertiges Kind der Völkerfamilie geworden.«
    »Die nächsten Jahre werden wohl der Auswertung unserer Reise gehören.« Nasarow lachte leise.
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