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Titan 09

Titan 09

Titel: Titan 09
Autoren: Robert Silverberg , Wolfgang Jeschke
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konditioniert…
    Wenn man es rein anthropomorphisch sah, machte Paradine den Fehler, die Spielsachen nicht augenblicklich loszuwerden. Er erkannte ihre Bedeutung nicht; und als er es schließlich tat, waren die Ereignisse schon zu weit fortgeschritten. Onkel Harry war nicht da, also konnte Paradine mit ihm nichts abklären. Außerdem liefen gerade die Zwischenprüfungen, und das hieß: große geistige Anstrengung und völlige Erschöpfung am Abend; und Jane kränkelte eine gute Woche lang. Emma und Scott hatten mit den Spielzeugen freie Hand.
    »Was ist«, fragte Scott eines Abends seinen Vater, »was ist ein Gemank, Vati?«
    »Gemenge?«
    Er zögerte. »Ich… ich glaube nicht. Ist Gemank nicht richtig?«
    »Meinst du Manko?«
    »Ich wüßte nicht«, murmelte Scott und machte sich stirnrunzelnd davon, um sich mit seinem ›Abakus‹ zu vergnügen. Er konnte ihn jetzt schon ziemlich geschickt handhaben. Aber mit dem Instinkt von Kindern, die Unterbrechungen vermeiden wollen, pflegten er und Emma nur für sich allein mit den Spielsachen zu spielen. Das war natürlich nicht offensichtlich – aber verzwicktere Experimente wurden nie unter den Augen eines Erwachsenen durchgeführt.
    Scott lernte schnell. Was er jetzt in dem Kristallwürfel sah, hatte kaum noch Beziehung zu den anfänglichen simplen Problemen. Sie waren von faszinierend technischer Natur. Hätte Scott geahnt, daß seine Ausbildung – wenn auch nur mechanisch – angeleitet und überwacht wurde, hätte er wahrscheinlich das Interesse verloren. So wie es war, wurde seine Initiative nie unterdrückt.
    ›Abakus‹, Würfel, Puppe – und andere Spielsachen, die die Kinder in dem Behälter fanden…
    Weder Paradine noch Jane ahnten, welch große Wirkung die Inhalte der Zeitmaschine auf die Kinder hatten. Wie konnten sie auch? Kinder dramatisierten instinktiv, schon aus Gründen des Selbstschutzes. Sie haben sich noch nicht an die Notwendigkeiten – die ihnen zum Teil unerklärlich sind – einer reifen Welt angepaßt. Von dem einen wird ihnen gesagt, daß sie im Dreck spielen, aber beim Graben keine Blumen oder Bäumchen ausreißen dürften. Ein anderer Erwachsener verbietet den Dreck per se. Die Zehn Gebote sind nicht in Stein gemeißelt; sie variieren, und Kinder hängen hilflos von den Launen derer ab, die sie zur Welt bringen, sie ernähren und kleiden. Und tyrannisieren. Die jungen Tiere widersetzen sich dieser wohltätigen Tyrannei nicht, denn für sie ist sie ein wesentlicher Bestandteil der Natur. Sie sind jedoch Idividualisten und erhalten ihre Integrität in einem subtilen, passiven Kampf.
    Unter den Augen eines erwachsenen Tieres ändern sie sich. Wie Schauspieler auf der Bühne geben sie sich Mühe, zu gefallen und gleichzeitig die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
    Es ist schwer zuzugestehen, daß Kindern die Subtilität fehlt. Kinder unterscheiden sich vom heranwachsenden Tier, weil sie auf andere Art denken. Wir können mehr oder weniger leicht ihre Verstellungsversuche durchschauen - aber sie auch die unseren. Kinder können die Heuchelei eines Erwachsenen erbarmungslos entlarven. Bilderstürmerei ist ihr Vorrecht.
    Stutzertum, zum Beispiel. Die Höflichkeiten des gesellschaftlichen Miteinander, fast bis zum Absurden übertrieben. Der Gigolo…
    »Welche Lebensart! Was für ein gutes Benehmen!« Die Matrone und das blonde junge Ding sind häufig beeindruckt. Männer haben weniger angenehme Kommentare auf der Zunge. Aber das Kind geht an die Wurzel der Sache.
    »Du bist blöde!«
    Wie kann ein ungereifter Mensch das komplizierte System sozialer Beziehungen verstehen? Für ihn ist die Überspitzung natürlicher Höflichkeit blöde. Sie ist in der funktionalen Struktur seines Rasters vom Leben reinstes Rokoko. Er ist ein egoistisches kleines Tier, das sich nicht in die Lage eines anderen versetzen kann – jedenfalls nicht in die eines Erwachsenen. Eine verschlossene, fast vollständige natürliche Einheit, in der die Wünsche von den anderen erfüllt werden: Das Kind hat viel von einem einzelligen Geschöpf, das im Blutstrom treibt; Nahrung wird zu ihm herangetragen, die Abfallprodukte werden weggeschwemmt…
    Vom Standpunkt der Logik aus ist ein Kind geradezu erschreckend vollkommen. Ein Säugling kann sogar noch vollkommener sein; aber er ist für einen Erwachsenen so fremd, daß nur Schein-Vergleichsmaßstäbe Anwendung finden. Die Gedankengänge eines Kleinkinds sind völlig unvorstellbar. Aber Babys denken, selbst vor der Geburt. Im
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