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Tiere essen

Tiere essen

Titel: Tiere essen
Autoren: Jonathan Safran Foer
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klären lassen (Wann ist ein Fötus ein Mensch, im Gegensatz zu einem potenziellen Menschen? Wie empfindet ein Tier wirklich?). All das löst ein tief sitzendes Unbehagen in uns aus und führt oft zu Aggressionen und Abwehr. Es ist ein strittiges, frustrierendes und nachklingendes Thema. Jede Frage löst die nächste aus, und man gerät leicht in eine radikalere Position, als man sie eigentlich vertreten will oder leben möchte. Oder noch schlimmer, man findet nichts, wofür es sich lohnen würde zu kämpfen oder wonach man leben könnte.
    Dann gibt es die Schwierigkeit, zwischen Gefühl und Wirklichkeit zu unterscheiden. Viel zu oft sind Diskussionen überdas Essen von Tieren keine Diskussionen, sondern Äußerungen über unsere Vorlieben. Und wo es Fakten gibt – so viel Schweinefleisch essen wir, so viele Mangrovensümpfe sind durch Aquakultur zerstört worden, so wird ein Rind getötet –, stellt sich die Frage, was wir eigentlich mit ihnen anfangen können. Sollen sie aus ethischer, gesellschaftlicher oder rechtlicher Sicht überzeugen? Oder sollen es nur weitere Informationen sein, die jeder Esser so verdauen kann, wie er es für richtig hält?
    Dieses Buch basiert auf einer Vielzahl von Recherchen und ist so objektiv, wie ein journalistisches Werk nur sein kann – ich habe die konservativsten Statistiken verwendet, die es gab (fast immer staatliche und von Fachleuten geprüfte Quellen aus Wissenschaft und Industrie), und zwei unabhängige Experten engagiert, um sie zu bestätigen. Trotzdem ist das Buch für mich eine Geschichte. Es gibt jede Menge Daten, aber sie sind oft wenig aussagekräftig. Fakten sind wichtig, bedürfen aber einer Interpretation, um einen Sinn zu ergeben. Was bedeutet »exakt erfasste Schmerzreaktion bei Hühnern«? Sagt sie etwas über den Schmerz aus? Was bedeutet »Schmerz«? Auch wenn wir noch so viel über die physiologische Seite von Schmerz wissen – wie lange er andauert, die Symptome, die er hervorruft, und so fort –, sagt nichts davon etwas Maßgebliches aus. Bringt man aber Fakten in einer Geschichte unter, die von Mitgefühl oder Herrschaft erzählt oder vielleicht von beidem – bringt man sie in einer Geschichte über die Welt unter, in der wir leben, und darüber, wer wir sind und wer wir sein möchten –, dann kann man anfangen, sinnvoll über das Essen von Tieren zu reden.
    Wir bestehen aus Geschichten. Ich denke an die Samstagnachmittage am Küchentisch meiner Großmutter, nur wir zwei – Brot röstete im Toaster, ein summender Kühlschrank, der vor lauter Familienfotos nicht zu sehen war. Über Pumpernickelenden und Cola erzählte sie mir von ihrer Flucht aus Europa, davon, was sie essen musste, und davon, was sie nicht aß. Es war ihre Lebensgeschichte – »Hör gut zu«, beschwor sie mich –, und ich wusste, mir wurde eine grundlegende Lektionvermittelt, auch wenn ich als Kind nicht wusste, worin sie bestand.
    Heute weiß ich es. Und obwohl sich die Bedingungen grundlegend verändert haben, will und werde ich versuchen, meinem Sohn ihre Lektion zu vermitteln. Und zwar mit diesem Buch. Jetzt zu Beginn fühle ich mich sehr unruhig, weil die Tragweite des Themas so enorm ist. Abgesehen von den über zehn Milliarden Landtieren, die in Amerika jedes Jahr zum Verzehr geschlachtet werden, und abgesehen von der Umwelt und den Arbeitern und unmittelbar damit einhergehenden Themen wie Welthunger, Grippeepidemien und Biodiversität, bleibt immer noch die Frage, wie wir uns und andere sehen. Wir sind nicht nur die Erzähler unserer Geschichten, wir sind auch der Inhalt der Geschichten. Wenn meine Frau und ich unseren Sohn als Vegetarier erziehen, wird er nicht das einzige Gericht seiner Urgroßmutter essen, wird er nie in den Genuss dieses einzigartigen und direktesten Ausdrucks ihrer Liebe kommen, wird er vielleicht nie von ihr als tollste Köchin aller Zeiten sprechen. Ihre erste Geschichte, die erste Geschichte unserer Familie, wird sich ändern müssen.
    Als meine Großmutter meinen Sohn zum ersten Mal sah, sagte sie: »Meine Revanche.« Sie hätte unendlich viel sagen können, aber sie entschied sich dafür, oder es wurde für sie entschieden.

Hör gut zu:
    » WIR WAREN NICHT REICH , aber wir hatten immer genug. Donnerstags haben wir Brot gebacken und Challa und Brötchen, und das reichte für die ganze Woche. Freitags gab es Pfannkuchen. Am Schabbat gab es immer Hühnchen und Nudelsuppe. Man ging zum Schlachter und fragte nach etwas mehr Fett. Dasfetteste Stück
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