Thea und Nat
den Neuen sofort selbst am Apparat.
»Ich habe eben erst von Ihrem Anruf erfahren.«
»Lassen Sie es gut sein.«
»Was hat er Ihnen vorgelogen?«
»Bitte«, sagte der Neue gereizt, »ich habe keine Lust, in Ihre familiären Auseinandersetzungen gezogen zu werden.«
»Er will mich zerstören«, sagte Thea.
Es war ein ungeschickter Satz.
»Machen Sie eine Entziehungskur«, sagte der Neue, »das haben schon berühmtere Leute getan.«
»Das ist es also«, sagte Thea.
»Ziehen Sie sich zurück. Wenigstens für eine Weile.«
Er zögerte. Thea setzte zu einer Erklärung an.
»Ich will nichts mehr von Ihnen hören«, sagte der Neue, noch ehe sie etwas sagen konnte.
Er legte auf.
Als Thea aus der Telefonzelle kam, hatte sie eine ähnliche Vision wie schon am frühen Morgen. Nur, daß Nat diesmal nicht sofort am Boden lag, sondern noch ein Stück lief, bevor er zusammenbrach. Tödlich getroffen von ihren Schüssen. Thea ging nicht nach Hause. Sie kaufte eine Zeitung und ging in den Park, an nassen Bänken vorbei, hin zu der Nackten. Thea lehnte sich an den Baum, der neben der Nackten stand, und guckte auf den pockigen Po, in den der Regen Krater gefressen hatte, und auf das Podest aus Backsteinen, das der grauen Steinfigur den letzten Reiz nahm.
Thea schlug die Zeitung auf und holte einen Stift aus der Innentasche ihres Mantels und strich an, was nicht mehr als zweihundert Mark kostete. Vier Zimmer.
Es regnete wieder, als Thea den Park verließ.
Vor der Telefonzelle standen ein Mann und eine Frau. Sie schienen nicht zu warten. Die Zelle war leer. Sie standen nur da und drückten sich aneinander, und der Mann machte seinen Mantel weit, und die Frau kroch in den trockenen Mantel und ließ sich umarmen und umarmte den Mann.
Thea ging an ihnen vorbei in die Zelle. Sie legte die Zeitung auf das ausgebreitete Telefonbuch und versuchte, die erste Anzeige zu lesen. Sie hatte Mühe, die Buchstaben aneinanderzureihen. Ihr war hundsmiserabel zumute.
Nat sah den Mann und die Frau, noch ehe er Thea entdeckte. Er blieb stehen und versank in den Anblick des Mannes, der groß und schützend stand und die Frau in den Mantel nahm. Er tauchte erst wieder auf, als in der Telefonzelle ein Schirm herunterfiel und der Knauf gegen die Scheibe schlug. Er kannte den Schirm, er hatte ihn in London gekauft.
Nat wartete, daß Thea sich umdrehte und den Schirm aufhob. Sie würde ihn sehen. Er stand nah genug.
Thea drehte sich nicht um. Sie legte ihr schwarzes Portemonnaie auf das Telefon, und als sie den Druckknopf der kleinen Tasche öffnete, kullerte schon das Geld heraus, und ein paar Groschen fielen auf den Boden. Thea ließ auch die liegen. Sie nahm den Hörer, steckte die Münzen ein und drückte die Tasten. Nat blieb unbemerkt.
Er senkte den Kopf und konzentrierte sich, um zu verstehen, was Thea sagte. Sie sprach zu leise. Erst das Einhängen des Hörers gab ein Geräusch, das nach draußen drang.
Nat griff nach den Reifen, bereit zur Flucht, die ihm gar nicht gelingen konnte. Doch Thea drehte sich nicht um.
Sie wandte sich der Zeitung zu, die vor ihr lag, und kritzelte auf den Rand. Nat konnte die Anzeigen erkennen.
»Am Klosterstern ist eine größere Telefonzelle.«
Nat sah zu dem Mann auf, der jetzt allein stand.
»Danke«, sagte Nat, »ich danke Ihnen.«
Er kehrte um und nahm ein paar Meter, bevor er noch mal zu Thea schaute. Thea hielt den Telefonhörer in der Hand. Er hatte eine gute Chance, vor ihr nach Hause zu kommen.
Die letzte Zeitung im Laden. Nat hatte Glück gehabt. Er legte sie auf die Kommode und wollte gerade das nasse Jackett ausziehen, als es klingelte. Nat faltete die Zeitung und schob sie in seinen Rücken. Thea mußte ihren Schlüssel vergessen haben. Nat öffnete die Wohnungstür, noch ehe er den Knopf für die Haustür unten drückte.
»Wir kommen in friedlicher Absicht«, sagte die Frau im Persianer.
»Nathaniel ist ein schöner Name«, sagte ihre Gefährtin.
Nat sah die Frau in dem Persianermantel an und glaubte, sie irgendwo schon einmal gesehen zu haben.
»Wir würden gerne mit Ihnen in der Bibel lesen.«
»Sind Sie katholisch?« fragte Nat, dem eine Erinnerung kam.
Die Frau schüttelte erschrocken den Kopf.
»Gehen Sie manchmal in eine katholische Kirche?«
Nat mochte die Spur noch nicht verlassen.
Die Gefährtin ließ ihre große Tasche aus dem Ellbogen rutschen.
»Dürfen wir Ihnen eine Lektüre geben?«
Sie holte ein Heftchen hervor.
»Auch an Weihnachten nicht?« fragte
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