Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tee macht tot

Tee macht tot

Titel: Tee macht tot
Autoren: Monika Clayton
Vom Netzwerk:
beschert.“
    Das klang so weise, fand Esther und nahm sich vor, diesen Spruch nie zu vergessen.
     
    In den folgenden Wochen besuchte Esther Friedrichsen die Dame, die mit ihrem Schicksal so klaglos umging, regelmäßig. Manchmal ging es gut, manchmal aber auch nicht. Wenn es gut ging, lachten sie gemeinsam, wenn nicht, kauerte Martha vor dem Fenster auf einem Stuhl und konnte sich nicht erinnern, dass sie Esther überhaupt kennengelernt hatte.
    Doch dann kam der Tag, an dem der tapferen Martha Scholz trotz ihres Willens die Kraft ausging. Sie fragte Esther, ob in ihrem Kräuterschränkchen nicht etwas sei, was Erleichterung verschaffen würde. 99 Jahre seien doch wirklich genug, oder etwa nicht?
    Zaghaft nickte Esther und hoffte, dass dies nun nicht allzu pietätlos klang.
    „Nein Kindchen, … das war es nicht“, beruhigte Martha schwach. „Würdelos … wäre es, wenn ein weiterer Apparat mich … zum Weiterleben zwingen würde.“ Das Atmen fiel ihr zunehmend schwerer. „Solange ich noch in irgendeinem Herzen ein Plätzchen habe, weile ich auch noch nach meinem 100ten auf Erden.“
    Esther versprach, solange sie lebe, werde Martha ebenfalls leben.
     
    Es war ein Donnerstag, als Esther Friedrichsen die tapfere Frau ein letztes Mal besuchte, und wie versprochen, besuchte sie regelmäßig, immer montags, das Grab von Martha Scholz. An ihrem hundertsten Geburtstag brachte Esther Kuchen mit und zündete ein extra Licht an. 
     

5
     
     
    Wie Säulen standen die Kastanien rechts und links neben dem Haus. Pflichtbewusst kehrte der Hausmeister herabfallende Blätter zusammen. Er rieb sich den Kopf, als eine Kastanie herabplumpste.
    Esther Friedrichsen konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Nicht ungefährlich der Herbst!
    Einen Moment lang blieb sie stehen und guckte ihm bei der Arbeit zu, danach stapfte sie weiter. In ihrer drallen Armbeuge baumelte ihr grauer Regenschirm mit dem Holzgriff. Den hatte sie immer dabei, wenn sie das Haus verließ. Nicht nur wegen des Vorteils, weil er bei Regen zu schützen vermochte, sondern auch deswegen, weil er bei zu viel Sonne ausreichend Schatten spendete. Außerdem ließ er sich prima als Spazierstock verwenden. Mit dem Schirm konnte sie zudem auf der großen Wiese, die sich hinter St. Benedikta bis in den Wald hinein erstreckte, das Gras auseinanderdrücken, ohne sich bücken zu müssen.
    Gemächlichen Schrittes schlenderte sie die Zufahrt entlang, an den Parklätzen vorbei bis zum Haupttor. Dort bog sie an der wenig befahrenen Straße rechts ab und hatte von da nur noch ein kleines Stück zurückzulegen. Bald hatte sie den kleinen Feldweg erreicht, der sich parallel zur Grundstücksmauer entlangschlängelte und sie bis zu der Wiese führte. Immer mittwochs, während des Vormittags, kam sie hierher, sofern es das Wetter erlaubte.
    Am Morgen, als sie aus ihrem Fenster schaute, hatte es zwar noch trüb ausgesehen, doch nun hatte die Sonne die Überhand gewinnen können. Jetzt vertrieb sie übrig gebliebene Nebelschwaden; sanft blies der Wind um Esthers Nase.
    „Nun denn!“, sprach sie zu sich, als sie die Stelle, zu der sie wollte, erreicht hatte. Ein lilafarbener Blütenteppich breitete sich vor ihr aus, der auch allerlei Getier angezogen hatte.
    „Husch, husch!“, scheuchte sie mit ihrem Schirm ein paar Bienen von den Blütenköpfen. Mit ihren mit Blütenstaub beladenen Beinchen flogen sie davon. Ein Lächeln huschte über Esthers pausbackiges Gesicht, dann beugte sich ihr müder Rücken hinab, und ihre von Altersflecken übersäten Hände zupften zielsicher so viel von der Leichenblume, bis ihr mitgebrachtes Weidenkörbchen halb voll war. Darüber legte sie behutsam, um nur kein Blütenköpfchen zu beschädigen, ein Baumwolltuch. Ein weiteres Mal beugte sie sich hinab, pflückte jetzt jedoch kunterbunte Wiesenblumen, die sie über das Tuch schichtete. Zu einem Sträußchen gebunden, würden sie sich wieder hübsch auf ihrem Tisch machen.
    Die stämmige Esther Friedrichsen liebte den Herbst. Wenn die Natur noch einmal so richtig schön bunt wurde und die Herbstsonne ihr mit Falten durchzogenes Gesicht erwärmte, fühlte sie sich jung. So jung, wie man sich eben mit 83 Jahren noch fühlen konnte.
    Aber sie liebte auch den Frühling, denn jede Jahreszeit brachte so ihre eigenen Pflänzchen zum Vorschein; im Frühling war es der Löwenzahn, den Esther Friedrichsen sammelte. Seine Kräfte galten bei Leber-, Nieren- und Gallenleiden als besonders hilfreich. Gerade alte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher