Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
Schaltkonsole auf der Küchentheke sah sie gleich, daß der Alarm nicht eingeschaltet war. Deshalb war er auch nicht losgegangen, als sie das Fenster hochgedrückt hatte. Was für ein Glück! Die verdammte Alarmanlage hatte sie ganz vergessen, und es war doch der Alarm gewesen, der Michael das Leben gerettet hatte. Er wäre ertrunken, wenn die Feue r wehrleute nicht gekommen wären und ihn gefunden hätten – Männer aus der Feuerwache seines Vaters, obgleich Michaels Vater schon vor langer Zeit gestorben war.
    Michael. Ja, es war fatal attraction gewesen, vom ersten Augenblick an, als sie ihn gesehen hatte. Und die schiere Größe des Mannes hatte sehr viel damit zu tun – Dinge wie die pe r fekte Breite seines Halses. Mona hatte ein scharfes Wah r nehmungsvermögen für die Hälse von Männern. Sie konnte sich einen ganzen Film ansehen, nur um ausgiebig Tom B e rengers Hals betrachten zu können.
    Dann war da diese ständige gute Laune. Wann hätte sie ei n mal kein Lächeln von Onkel Michael bekommen? Und oft auch ein Zwinkern. Sie liebte diese unermeßlich großen und e r staunlich unschuldigen blauen Augen. »Regelrecht knallig«, hatte Bea einmal gesagt, aber sie hatte es als Kompliment gemeint. »Der Mann ist irgendwie einfach zu lebendig!« Sogar Gifford hatte das verstanden.
    Meistens war ein Mann, der so gut gebaut war, ein Idiot. Ric h tige Mayfair-Männer waren immer perfekt proportioniert. Wenn Brooks Brothers oder Burberry’s einem nicht paßten, war man ein Fehltritt. Sie schütteten einem Gift in den Tee. Und sie b e nahmen sich wie Aufziehspielzeug, wenn sie von Harvard nach Hause kamen; stets gekämmt und sonnengebräunt, schüttelten sie den Leuten die Hände.
    Mayfair und Mayfair waren eine Anwaltskanzlei voller Vinylmenschen.
    »Macht nichts«, hatte ihre Mutter auf ihre Kritik einmal erwidert. »Sie kümmern sich um das ganze Geld, so daß du und ich uns um nichts Sorgen zu machen brauchen.«
    »Ich frage mich, ob das so eine gute Idee ist«, hatte Mona gesagt und dabei beobachtet, wie ihre Mutter mit der Zigarette den Mund verfehlte und dann nach dem Weinglas auf dem Tisch herumtastete. Mona hatte es ihr entgegengeschoben, und sie hatte sich dabei selbst nicht leiden können, es hatte ihr nicht gefallen, daß sie es tat, weil es eine Folter war, ihrer Mu t ter dabei zuzusehen, wie sie es selbst nicht fand.
    Aber Michael Curry war ein ganz anderer Schlag als die Ma y fair-Männer – kraftvoll und entspannt, auf eine schönere Art rauh, gänzlich frei von jener unvergänglichen gelackten El e ganz, die Männer wie Ryan zur Vollendung brachten, aber überaus anbetungswürdig auf eine bestialische Weise, wenn er seine dunkel geränderte Brille trug und Dickens las, wie er es heute nachmittag getan hatte, als sie oben in seinem Zi m mer gewesen war. Mardi Gras hatte ihn überhaupt nicht inte r essiert. Er hatte nicht herunterkommen wollen. Daß Rowan ihn verlassen hatte, ließ ihn immer noch taumeln. Zeit bedeutete ihm einfach nichts, denn wenn er anfinge, darüber nachzudenken, dann müßte er auch darüber nachdenken, wie lange R o wan jetzt weg war.
    »Was liest du da?« hatte sie gefragt.
    »Oh, Große Erwartungen«, hatte er geantwortet. »Das lese ich immer wieder. Ich bin gerade bei der Stelle über Joes Frau, Mrs. Joe. Wie sie immer das T auf die Tafel malt. Schon mal gelesen? Ich lese gern Sachen noch einmal, die ich schon kenne. Es ist, wie wenn du dein Lieblingslied immer wieder hörst.«
    Ein brillanter Neandertaler schlummerte in seinem Körper und wartete nur darauf, einen bei den Haaren in seine Höhle zu schleifen. Ja, ein Neandertaler mit dem Gehirn eines Cro-Magnon, der strahlend lächeln und sich wie ein Gentleman benehmen konnte, so wohlerzogen, wie nur irgend jemand in der Familie es sich wünschen konnte. Er verfügte über ein großartiges Vokabular, sofern er es zu benutzen beliebte. M o na bewunderte sein Vokabular. Ihr eigenes entsprach etwa dem einer College-Studentin im letzten Jahr. In der Schule hatte mal jemand gesagt, bei ihr kämen die größten Wörter aus dem kleinsten Körper der Welt.
    Michael konnte sich anhören wie ein Polizist aus New Orleans und im nächsten Augenblick wie ein Schuldirektor. »Unschlagbare Kombination von Elementen«, hatte sie in ihr Computertagebuch geschrieben. Dann fiel ihr Onkel Juliens Ermahnung wieder ein. »Der Mann ist einfach zu gut.«
    »Bin ich böse?« flüsterte sie laut in die Dunkelheit. »Befehl oder Datei unbekannt.«
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher