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Tanz auf Glas

Tanz auf Glas

Titel: Tanz auf Glas
Autoren: Ka Hancock
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mit ihrem Beruf genauso. Sie reichte Mickey seine Tabletten und ein Glas Wasser und sah zu, wie er sie einnahm. Nachdem er geschluckt hatte, musste er sie unter seine Zunge schauen lassen, und dieser kleine Akt der völligen Kontrolle überraschte mich jedes Mal wieder. In unserem normalen Leben war Mickey ein kluger, witziger, erfolgreicher Unternehmer. Er war lässig und zugänglich. Er war der Mann, der das Abendessen kochte, wenn er vor mir nach Hause kam. Der jammerte, wenn ich ihn bat, mir schnell in Mosely’s Market Tampons zu holen. Er wechselte meine Reifen und bezahlte die Stromrechnung. Er war der Kerl, dem ich immer noch nicht widerstehen konnte, wenn er frisch geduscht aus dem Bad kam. Und er war auch dieser Kerl hier. Der gelegentlich so weit von seinem sorgsam gesteuerten Kurs abdriftete, dass Peony überprüfen musste, ob er seine Medikamente nicht etwa in die Wange geschoben hatte, statt sie zu schlucken. Ich drückte seine Hand, und er drückte meine.
    Nach Jahren geduldiger, kompetenter Beharrlichkeit hatte Gleason – Dr. Gleason Webb – endlich eine wirksame Kombination von Medikamenten zur Behandlung von Mickeys bipolarer Störung gefunden. Manchmal hört mein Mann auf, diesen Cocktail zu nehmen, aus Gründen, die nur ihm selbst einleuchten, doch der Weg führt immer dahin, wo wir jetzt sind – er muss allmählich wieder auf diesen Cocktail eingestellt werden. Eine Handvoll Pillen am Tag ist nötig, um meinen Mann stabil zu halten. Er nimmt ein Phasenprophylaktikum, üblicherweise Lithium, manchmal Valproat, oft auch beides. Manchmal noch Risperdal, damit er keine Stimmen hört. Neurontin verhindert, dass er Krämpfe bekommt – eine Nebenwirkung von Risperdal. Symmetrel bekämpft die Parkinson-ähnlichen Symptome, die als Nebenwirkung von Valproat auftreten können, Propranolol gegen Tremor und DPH gegen die Muskelsteifigkeit durch den Tremor. Clonazepam gegen Angstzustände, und Zolpidem, damit er schlafen kann. Dazu kommen noch diverse Antidepressiva, je nach Bedarf. Das alles zusammen hat die magische Wirkung, Mickeys Verhalten, seine Stimmung und seine Reaktionen zu normalisieren, aber nur, wenn er einnimmt, was er nehmen soll, und zwar dann, wenn er es nehmen soll. Und das geht oft in die Hose.
    Das ist der Refrain unseres Lebens, der ständig im Hintergrund läuft: Nimmt Mickey seine Medikamente? Wenn ich eine andere Art Ehefrau wäre, eine, die Pillen abzählt und sie Mickey vor ihren Augen schlucken lässt, wie seine Krankenschwester, dann würde die Antwort sicherlich Ja lauten. Aber ich könnte mir überhaupt nicht vorstellen, ihm diese Verantwortung abzunehmen, ihm diese Würde zu nehmen, deshalb habe ich mich immer bemüht, Mickey nicht so von mir abhängig zu machen. In Gesundheit und Krankheit – ich will, dass er selbst die Macht über sein Leben hat, statt sich hilflos und schwach zu fühlen. Natürlich behalte ich ihn trotzdem im Auge, und natürlich nehme ich die Sache in die Hand, wenn er durchdreht. Das tut man eben, wenn man jemanden wie Mickey liebt. Ich beklage mich nicht. Ich war gewarnt, wie dieses Leben aussehen würde. Und ich hatte ein Dutzend Mal die Chance, es mir anders zu überlegen. Die Wahrheit lautet ganz einfach: Ich glaube, ich habe mich schon in Mickey verliebt, als ich ihn zum ersten Mal gesehen habe. Und das ist ein Glück, denn inzwischen kann ich mir gar nicht mehr vorstellen, irgendjemand anderen zu lieben. Oder von irgendjemand anderem geliebt zu werden. Trotz aller Schwierigkeiten (und der einen oder anderen verpassten Kreuzfahrt) bin ich sicher, dass ich mich immer wieder für Mickey entscheiden würde.

[home]
    3
    8 . September 1998
    S ie hat mir ihre Telefonnummer gegeben, und obwohl ich wusste, dass ich sie nie anrufen würde, habe ich sie auswendig gelernt. Ich konnte nicht anders. Niemand hat mich je so gesehen wie sie. Das klingt sicher seltsam, aber mich anzuschauen und mich wirklich zu sehen sind zwei Paar Schuhe. Und ich kenne den Unterschied genau, denn mein erwachsenes Leben lang haben mich Frauen angeschaut, und auch einige Männer. Aber bei Lucy hatte ich den Eindruck, dass sie mich nicht durch die Zerrbrille der Attraktivität betrachtet, die so viele junge Frauen tragen, sondern in einem weniger schmeichelhaften Licht, das umso mehr von mir grell beleuchtete. Zunächst einmal hat sie mich völlig entwaffnet, während ich mit ihrer Schwester flirtete, die ebenfalls ziemlich scharf war, muss ich sagen – blond, klug und
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