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Tal der Tausend Nebel

Tal der Tausend Nebel

Titel: Tal der Tausend Nebel
Autoren: Noemi Jordan
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Mannschaft beraten, ob sie die Frauen mit dem Beiboot ans Ufer bringen sollten, aber auch das könnte als Provokation gesehen werden. Dieser Tage war es am besten, wenn gar kein europäisches Schiff der Insel zu nahe kam. Die Frauen würden deshalb in aller Früh von Kanus ans Ufer gebracht werden.
    Das Schiff schwankte stark, sodass Elisa und ihre Mutter sich an der Reling festhalten mussten. Der Anker hatte Halt am felsigen Riff gefunden. Die Kette spannte sich mit lautem Klirren. Es folgte ein weiterer Ruck. Unsicher klammerte sich Clementia an ihre Tochter, fast wäre sie gefallen. Dann stand das Schiff still. Der Kapitän trat zu ihnen. Seine hohe Stirn zeigte Sorgenfalten. Er sah ernst aus.
    »Leider habe ich schlechte Nachrichten für Sie, meine Damen. Ursprünglich wollten wir hier in der Bucht für drei Nächte ankern, aber jetzt müssen wir den Plan ändern. Die Unruhen auf den Inseln zwingen uns dazu. Eigentlich sollten wir gleich nach dem Ausladen der Waren die Segel setzen und umkehren.« Er zögerte einen Moment, bevor er die Hand von Elisas Mutter in seine nahm und weitersprach.
    »Ursprünglich wären Sie mit Ihrer Tochter erst morgen früh in die Kanus gestiegen …«
    Elisas Mutter nickte. Noch verstand sie nicht, was er ihr sagen wollte. Aber Elisa verstand sehr wohl, um was es hier ging. Sie bekam mit einem Mal ein mulmiges Gefühl in der Magengrube. Der Aufstand der Insulaner machte den Weißen Angst. Ihnen könnte in der Tat schon bald Gefahr drohen.
    Die Stimme des älteren Mannes in der stattlichen Kapitänsuniform war voller Bedauern, aber gleichzeitig von männlicher Entschiedenheit, als er Elisas Mutter vor die Wahl stellte, ihre Reise auf seinem Schiff hier zu beenden oder aber zum nächsten sicheren Hafen zu fahren, bis Kauai wieder sicher sei.
    »Es tut mir leid, aber wenn Sie auf Kauai bleiben wollen, dann müssten Sie mit Ihrer Tochter in einer Stunde von Bord. Wegen der zunehmenden Unruhen unter den Eingeborenen können wir nicht einmal über Nacht vor dieser Küste ankern. Heute ist Vollmond. Sehen Sie, die Kanakas versammeln sich bereits am Felsen. Einige von ihnen sind bewaffnet.«
    Der Kapitän ließ die beiden Frauen abwechselnd durch sein Fernglas sehen. Elisa konnte drei Eingeborene ausmachen, die den Berg hinauf zum großen Felsen liefen, aber sie sah keine Waffen. Fragend sah sie den Kapitän an.
    »Sind Sie sicher, dass diese Männer bewaffnet sind? Mein Vater hatte mir erzählt, dass die Hawaiianer ausgesprochen friedliebend sind.« Einen kurzen Moment schien der Kapitän verlegen zu werden.
    »Es wird immer wieder von Waffen berichtet. Mein Steuermann wurde bei unserem Landgang auf Oahu explizit gewarnt. Zudem hat es in den Häfen der anderen Inseln bereits mehrfach Übergriffe gegen europäische Schiffe gegeben. Dort drüben, sehen Sie das Leuchtzeichen, meine Damen? Das ist die Warnung eines Plantagenbesitzers an alle Schiffe. Wir sollen fort von hier. Die Bremen ist eine ganz und gar unnötige Provokation. Ich bin mir zudem sicher, dass es nicht im Sinne Ihres Schwagers wäre, wenn ich Sie unnötig in Gefahr bringe.«
    Elisa sah das Leuchtfeuer flackern. Es war auf der Spitze der Landzunge entzündet worden. Wie ein kleiner unwirklicher Punkt im Grün des Dschungels leuchtete es zu ihnen hinüber. Mit einer Decke wurden Zeichen gegeben, Morsezeichen, wie Elisa annahm. Ihre Mutter war vor Schreck blass geworden und hielt sich krampfhaft an der Reling fest.
    »Aber was sollen meine Tochter und ich denn jetzt tun? Unmöglich können wir bei derartig unruhigem Seegang an Land. Jetzt wieder umzukehren, so kurz vor dem Ziel … das kann ich mir allerdings gar nicht vorstellen. Mein Mann wollte doch, dass wir auf dieser Insel ein neues Glück finden.«
    Der Kapitän bemühte sich um ein Lächeln.
    »Die Wellen beruhigen sich innerhalb der nächsten Stunde. Ich kenne die Bucht. Die einsetzende Abendflut wühlt das Wasser nur kurzzeitig auf. Wenn es dunkel wird, sind auch die Wellen wieder zahm.«
    Er sah erneut durch sein Fernglas hinauf zu dem Berg. Elisas scharfe Augen konnten die Gestalten jetzt auch ohne Hilfe erkennen. Mehr und mehr Männer strömten zu dem Versammlungsfelsen im Tal der Tausend Nebel, doch sie sah immer noch keine Waffen.
    Der Kapitän seufzte. »Vor der Versammlung sind sie angeblich ungefährlich. Aber bei Vollmond halten sie ihre heidnischen Rituale ab und nehmen einen berauschenden Trank zu sich, der, wie man hört, auch den zahmsten Arbeiter in ein
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