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Tagebücher 1909-1923

Tagebücher 1909-1923

Titel: Tagebücher 1909-1923
Autoren: Franz Kafka
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herumgehn sollen ohne politische Aufmunterung
    aus
    Vergangenheit oder Zukunft. Er muß sich hiebei sagen, daß, besonders seit dem Aufkommen des Zionismus, die
    Lösungsmöglichkeiten um das jüdische Problem herum, so klar angeordnet liegen, daß es schließlich nur einer Körperwendung des Schriftstellers bedarf um eine bestimmte, dem vorliegenden Teil des Problems gemäße Lösung zu finden.
    Ich ahnte bei seinem Anblick die Anstrengungen die er um meinetwillen auf sich genommen hatte und die ihm jetzt –
    vielleicht nur weil er müde war – diese Sicherheit gaben. Hätte nicht noch eine kleine Anspannung genügt und der Betrug wäre gelungen, gelang vielleic ht noch jetzt. Wehrte ich mich denn?
    Ich stand zwar hartnäckig hier vor dem Haus, aber ebenso hartnäckig zögerte ich hinaufzugehn. Wartete ich bis die Gäste kommen würden, mit Gesang mich zu holen?
    15 August 1911 Die Zeit, die jetzt verlaufen ist und in der ich kein Wort geschrieben habe, ist für mich deshalb wichtig gewesen, weil ich auf den Schwimmschulen in Prag, Königssaal
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    und Czernoschitz aufgehört habe, für meinen Körper mich zu schämen. Wie spät hole ich jetzt mit 28 Jahren meine Erziehung nach, einen verspäteten Start würde man das bei einem Wettlaufen nennen. Und der Schaden eines solchen Unglücks besteht nicht vielleicht darin, daß man nicht siegt; dieses letzte ist ja nur der noch sichtbare, klare, gesunde Kern des weiterhin verschwimmenden grenzenlos werdenden Unglücks, das einen, der man doch den Kreis umlaufen sollte, in das Innere des Kreises treibt. Übrigens habe ich auch vieles andere in dieser zum kleinen Teil auch glücklichen Zeit an mir bemerkt und werde es in den nächsten Tagen aufzuschreiben versuchen.
    20 VIII 11
    Ich habe den unglücklichen Glauben daß ich nicht zur geringsten guten Arbeit Zeit habe, denn ich habe wirklich nicht Zeit für eine Geschichte mich in alle Weltrichtungen auszubreiten, wie ich es müßte. Dann aber glaube ich wieder, daß meine Reise besser ausfallen wird, daß ich besser auffassen werde, wenn ich durch ein wenig Schreiben gelockert bin und so versuche ich es wieder.
    Ich ahnte bei seinem Anblick die Anstrengungen, die er um meinetwillen auf sich genommen hatte und die ihm jetzt, vielleicht nur weil er müde war, diese Sicherheit gaben. Hätte nicht noch eine kleine Anspannung genügt und der Betrug wäre gelungen, gelang vielleicht noch jetzt. Wehrte ich mich denn?
    Ich stand zwar hartnäckig hier vor dem Haus, aber ebenso hartnäckig zögerte ich hinaufzugehn. Wartete ich bis die Gäste kämen, mit Gesang mich zu holen?
    Ich habe über Dickens gelesen. Ist es so schwer und kann es ein Außenstehender begreifen, daß man eine Geschichte von ihrem Anfang in sich erlebt vom fernen Punkt bis zu der heranfahrenden Lokomotive aus Stahl, Kohle und Dampf, sie aber auch jetzt noch nicht verläßt sondern von ihr gejagt sein will und Zeit dazu hat, also von ihr gejagt wird und aus eigenem
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    Schwung vor ihr läuft wohin sie nur stößt und wohin man sie lockt.
    Ich kann es nicht verstehn und nicht einmal glauben. Ich lebe nur hie und da in einem kleinen Wort, in dessen Umlaut (oben
    "stößt") ich z. B. auf einen Augenblick meinen unnützen Kopf verliere. Erster und letzter Buchstabe sind Anfang und Ende meines fischartigen Gefühls.
    24 August 1911
    Mit Bekannten an einem Kaffeehaustisch im Freien sitzen und eine Frau am Nebentisch ansehn, die gerade gekommen ist, schwer unter großen Brüsten atmet und mit erhitztem, bräunlich glänzendem Gesicht sich setzt. Sie neigt den Kopf zurück, ein starker Bartanflug wird sichtbar, sie dreht die Augen nach oben, fast so, wie sie vielleicht manchmal ihren Mann ansieht, der jetzt neben ihr eine illustrierte Zeitung liest. Wenn man ihr doch die Überzeugung beibringen könnte, daß man neben seiner Frau im Kaffeehaus höchstens eine Zeitung aber niemals eine Zeitschrift lesen darf. Ein Augenblick bringt ihr ihre Körperfülle zum Bewußten und sie rückt ein wenig vom Tisch weg.
    26. Aug. (1911) Morgen soll ich nach Italien fahren. Jetzt Abend konnte der Vater vor Aufregung nicht einschlafen, da er ganz von der Sorge um das Geschäft und von seiner dadurch aufgeweckten Krankheit ergriffen war. Auf das Herz ein nasses Tuch, Brechreiz, Luftmangel, seufzendes Hin- und Hergehn. Die Mutter in ihrer Angst findet neuen Trost. Immer sei er doch so energisch gewesen, über alles sei er hinweggekommen und jetzt
    – Ich sage daß der Jammer mit
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