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Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Titel: Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)
Autoren: Jan Costin Wagner
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langen Spaziergang gemacht. Hatte sich alle Ecken des Industriegebiets angesehen, er war jetzt ein Experte, wenn es um das Industriegebiet in Salo bei Turku ging, er kannte jede Ecke, hatte sich alles genau eingeprägt.
    Dann hatte er plötzlich wieder vor dem Club gestanden, vor dem Gelände, der Lagerhalle, dem rosa und lila beleuchteten Bürogebäude. Er hatte ein Taxi gerufen, sich auf den Rücksitz gesetzt, dem Fahrer Geld gegeben und ihm gesagt, er solle warten, bis es an der Zeit sei, loszufahren. Der Taxifahrer hatte die Stirn gerunzelt. Und gewartet.
    Gegen elf waren Bergenheim und die Japaner aus dem Club getorkelt, in den Wagen gestiegen und nach Hause gefahren. Er hatte Bergenheims Gesicht gesehen, Bergenheim persönlich am Steuer des Wagens, Bergenheim hatte schallend gelacht.
    Kurz nach eins war Réka gekommen. Sie war, gemeinsam mit einem Mann, zu einem weißen Mercedes gelaufen und eingestiegen. Den Kopf gesenkt. Erschöpft. Auch sie hatte er gesehen, als sie an dem Taxi vorbeigefahren waren, sie hatte auf dem Beifahrersitz gesessen, den Blick ins Leere gerichtet, und Jarkko Falk hatte den Taxifahrer gebeten, loszufahren. Sofort. Dem Wagen zu folgen.
    »Wow, Verfolgungsjagd«, hatte der Taxifahrer gesagt, mit müder Stimme. Dann noch mal: »Wow!«
    Sie waren nach Helsinki gefahren, in eine schöne Wohngegend, am Meer. Er hatte Réka dabei zugesehen, wie sie neben dem Mann auf ein Haus zugelaufen und darin verschwunden war. Réka, hatte er gedacht. In Finnland. Hier. Bei mir. In einer ganz anderen Welt, Lichtjahre entfernt. In der Logik war eine Lücke gewesen, und er hatte nicht gewusst, wie sie zu füllen sein würde.
    »Danke, Meister«, hatte der Taxifahrer gesagt, und Jarkko Falk hatte genickt und war zu dem Haus gegangen. Hatte ihre Stimme gehört. Sie hatte über ihm gestanden, auf einem Balkon. Er war mit dem Aufzug nach oben gefahren, hatte an der Tür geklingelt.
    Es war nicht lange her, eine lange Sekunde vielleicht. Und jetzt saß er in dem Café, am Ende der Strandpromenade, in dem er einmal mit Réka Orangensaft getrunken und Kuchen gegessen hatte.
    Noch nie, hatte De Vries gesagt. Noch nie war in Ostende ein Mann erfroren. Im Frühling. Noch nie.
    Réka war tot. Das war das Einzige, was er wirklich begriffen hatte.
    Das Letzte, was er sah, war eine Frau in der Touristengruppe, die den Mund öffnete, das Letzte, was er hörte, war ein Schrei derselben Frau, und das Letzte, was er dachte, waren die Worte, die De Vries sagen würde, morgen oder in einigen Tagen, vielleicht.
    Noch nie, würde De Vries sagen. Noch nie hat sich im Café am Ende der Strandpromenade ein Mann erschossen. Noch nie.
    Er hob die Waffe gegen die Schläfe und drückte ab.

ZWISCHEN NACHT UND MORGEN
77
    Lasse Ekholm erwachte im Dunkel. Er lag einige Minuten lang regungslos, dann versuchte er vorsichtig, seine Arme zu bewegen, seine Beine, beides bereitete Schmerzen, aber es war möglich. Sein Kopf fühlte sich leicht an, wie von einer Last befreit, über ihm hing ein Tropf mit einer Flüssigkeit, in einem Schlauch, der in seinen Arm hineinführte.
    Neben ihm, in Reichweite, war ein Knopf, der sich drücken ließ. Gleich würde eine der Schwestern kommen und ihn fragen, wie es ihm gehe, und er würde fragen, wo seine Frau sei, Kirsti. Kirsti Ekholm.
    Er hatte die Worte auf den Lippen, legte sie sich zurecht, weil er das Gefühl hatte, dass es mühsam sein würde zu sprechen, er wollte vorbereitet sein und die Worte klar artikulieren, aber dann schwieg er, denn die Frau, die den Raum betreten hatte, war Kirsti. Sie stand auf der Schwelle. Abwartend. Sie schien unverletzt zu sein.
    Er bewegte sich nicht, aber in Gedanken streckte er die Arme nach ihr aus, während sie sich aus der Erstarrung löste und langsam, Schritt für Schritt, auf ihn zukam.
78
    Markus Sedin lag wach. Er dachte an Jarkko Falk, an das letzte Gespräch, das sie geführt hatten. Das letzte, an das er sich erinnern konnte. An einem Abend, der kühler gewesen war, als der Tag versprochen hatte. Bergenheims Geburtstag, auf der Dachterrasse der Norda-Bank, Rhabarbersekt. Jarkko Falk war der Einzige gewesen, der sich nicht über das Getränk lustig gemacht hatte.
    Fast beruhigend, hatte Falk gesagt. Es wäre doch schade gewesen. Und irgendwie … unnatürlich. Unnatürlich, hatte Sedin gedacht. Es wäre schade gewesen, wenn der Frühling in diesem Jahr einfach so … ausgefallen wäre.
    Es war still, fast hatte Markus Sedin das Gefühl, allein zu sein und
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