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Suter, Martin

Suter, Martin

Titel: Suter, Martin
Autoren: Allmen und die Libellen
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Polizei
zu informieren, falls er bis sechzehn Uhr dreißig nichts von mir hört.«
    Der Alte nickte mit spöttischer Anerkennung. »Recht so.
Man kann nie vorsichtig genug sein.«
    Allmen ließ sich nicht irritieren: »Ich bin hier, um Ihnen
ein Angebot zu machen.«
    »Schießen Sie los.«
    Allmen wartete einen Moment, um die Wirkung zu vergrößern.
    »Ich gebe Ihnen die Libellenschalen, und Sie pfeifen
Ihren Killer zurück.«
    Hirt angelte sich seinen Schwenker und trank einen
Schluck. »Welchen Killer?«
    »Den, der gestern auf mich geschossen hat.«
    »Und warum leben Sie noch?«
    »Meine Hosenträgerschnalle hat mich gerettet.«
    Dieser Satz löste bei Hirt einen so unkontrollierbaren
Lachanfall aus und dieser einen so bedrohlichen Hustenanfall, dass Allmen
befürchtete, er könnte ersticken.
    Es dauerte eine ganze Weile, bis er wieder sprechen
konnte. »Sie verdanken also Ihr Leben Ihrem Hosenträger. Wie fühlt man sich da,
wenn ich fragen darf? Haben Sie ihn eingerahmt?« Wieder wurde er von Lachen und
Husten geschüttelt.
    Als er sich erholt hatte, wurde er ernst. »Verzeihen Sie.
Am Ende eines Lebens fällt es einem manchmal schwer, ernst zu bleiben. Auf Sie
wurde also geschossen. Haben Sie eine Ahnung, warum?«
    »Weil ich Ihre Galle-Schalen entwendet habe.«
    »Und woher wusste ich, dass Sie das waren?«
    »Sie haben mich beobachtet. Und über Ihre Tochter
herausgefunden, wer ich bin. Oder über Ihren Boris.«
    Der alte Mann nahm einen Zug von der Zigarre und sah dem
Rauch nach, den er gegen die Decke blies. »Erschießen lassen wegen fünf
Galle-Schalen«, sagte er nachdenklich.
    Jetzt bemerkte er, dass Allmens Glas noch unberührt war.
»Sie trinken ja nichts. Trinken Sie. Ein guter Jahrgang. 1931. Ist auch
meiner.«
    »Danke. Ich bleibe lieber nüchtern.«
    »Nicht die einfachste Art, das Leben zu ertragen.« Hirt
roch am Armagnac, nahm einen kleinen Schluck und stellte den Schwenker
vorsichtig auf die gläserne Tischplatte. »Ich will Ihnen jetzt einmal etwas
erzählen.«
    »Wenn es nicht zu lange dauert. Wie gesagt: sechzehn Uhr
dreißig.«
    Hirt winkte mit einer müden Handbewegung ab. Er fasste
sein Gegenüber ins Auge und begann: »Sie haben recht. Es gab eine Zeit, in der
ich vielleicht sogar jemanden hätte erschießen lassen für diese Schalen. Falls
ich jemanden gefunden hätte, der nicht nur die Hosenträgerschnalle trifft.« Der
Gedanke daran brachte ihn diesmal nur zu einem kleinen Schmunzeln.
    »Es gab eine Zeit - sie hegt noch nicht so lange zurück-,
da war ich süchtig nach diesen fünf Schalen. Sie sind für mich das
Vollkommenste, was je von Menschenhand geschaffen wurde. Glauben Sie mir, es
gab Tage, an denen ich mich in diesem Raum vier, fünf Stunden eingeschlossen
habe und nichts anderes tat, als meine Libellen anzuhimmeln. Ich stellte sie
auf diesen Tisch, erst eine nach der anderen, dann alle zusammen, dann diese
zwei nebeneinander, dann die anderen zwei. Stundenlang.«
    Er fasste neben sich zwischen Oberschenkel und Armlehne,
brachte eine Fernbedienung zum Vorschein, ähnlich wie man sie für Fernseher
verwendet, und drückte darauf.
    Jetzt war das Glastischchen in grelles Licht getaucht. Es
stammte von kleinen Spots, die überall im Raum angebracht waren. Hirt konnte
jeden einzeln mit seiner Fernbedienung dimmen, schwenken und drehen und die
Beleuchtung der Vitrinen manipulieren.
    Er spielte eine Weile damit herum, ließ die Gegenstände
auf dem Tisch aufleuchten und wieder verlöschen, veränderte ihre Schatten und
brachte ihre Formen zur Geltung.
    »So habe ich sie zum Leben erweckt, zum Leuchten,
Strahlen und Tanzen gebracht. Ich war verhebt. Ja. Verhebt in fünf
Glasschalen.«
    Er nahm wieder einen Zug und einen Schluck. »Und wissen
Sie was? Ich konnte dieses Vergnügen mit keinem Menschen teilen. Es war eine einsame
Leidenschaft. Aber das hat mir nichts ausgemacht. Im Gegenteil: Genau darin
bestand der Reiz der Sache. Es war etwas, das mir, mir ganz allein gehörte.
Herr von Allmen, Sie haben einen dieser Menschen vor sich, die unverkäufliche,
weil gestohlene Kunstwerke horten. Ausschließlich zu ihrem privaten,
persönlichen und unteilbaren Vergnügen. So sieht so einer aus, falls Sie sich
das auch manchmal gefragt haben.«
    Allmen hatte während des ganzen Monologs den alten Sammler
kaum gesehen. Das ganze Licht des Raumes war auf den Glastisch zwischen ihnen
gerichtet. Nur die Reflexe einiger Gegenstände warfen ein paar Flecken auf
Hirts Gesicht.
    »Liebe«,
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