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sus

sus

Titel: sus
Autoren: Unknown
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Morgen werde ich
gegen zehn Uhr wach. Ich wälze mich noch bis elf Uhr hin und her, dann steh ich
auf, erholt von der gestrigen Aufregung, puppenlustig wie kein zweiter, frisch
wie ein Fisch im Wasser. Ein frischer Fisch. Ich denke über das nach, was
gestern passiert ist. Den Dr. Petiot -Aspekt von Tchang-Pou halte ich aber aus meinen Überlegungen raus. Dr. Petiot ! Wohnte in der Rue Caumartin ,
im selben Arrondissement wie mein chinesischer Boxpartner. Diesen Aspekt laß
ich also beiseite. Konzentriere mich voll und ganz auf die rosafarbene Karte.
Dabei könnte ich mich genausogut auf die grüne
Versicherungskarte konzentrieren; jedenfalls einfacher als nachzusehen, ob die
Blonde immer noch im Schrank liegt.
    Ich besorge mir die Morgen- und
Mittagsausgaben von Paris-Presse, France- Soir und Crépuscule . Unter der Rubrik
„Vermischtes“ suche ich nach einem Echo auf meine Balgerei mit Tchang-Pou . Vielleicht hat ja ein anderer Gast wie Hélène
den Braten gerochen und die Flics alarmiert. Ich bin
nicht der einzige, der sich um Dinge kümmert, die ihn nichts angehen. Und falls
tatsächlich die Flics aufgekreuzt sind: vielleicht
haben sie die Blonde im Schrank entdeckt? Aber die Flics haben natürlich nichts entdeckt. Die Flics sind auch
nicht aufgekreuzt. Sie sind nämlich überhaupt nicht alarmiert worden. Nichts
ist über meinen Boxkampf durchgesickert. Gut.
    Ich nehm meinen Dugat und fahr in Richtung Rue de Douai . Dort wohnt ein Bekannter, der mir vielleicht mehr über
diese rosa Karte erzählen kann.
    Aber vorher statte ich der Rue
de la Grange- Batelière noch einen Besuch ab. Das
Restaurant Concession Internationale steht
immer noch. Scheint unter den Ereignissen nicht gelitten zu haben.
    Ich wünsche allen Gästen einen
guten Appetit und fahre dann in die Rue de Douai .
    Mein Bekannter heißt Marcel. Er
ist ein Opfer des Gesetzes Marthe Richard. Früher lenkte er die
Geschicke der Boule Blanche et Bleue in Mâcon . Als er seinen Broterwerb verlor, stand er nicht ohne
da. Alles andere als das. Er kaufte sich ein Bistro, ganz in der Nähe des
Square Vintimille und des Artistic , eines Kinos, das sich in der ehemaligen Villa von Francisque Sarcey befindet, dem unter dem Namen
,Mein Onkel’ bekannten Kritiker. Ich war manchmal auf ein Gläschen bei
ihm; wir kennen uns, stehen aber nicht per du miteinander. Marcel verschweigt
übrigens nicht seine frühere Tätigkeit. Spricht davon immer mit einem
sehnsüchtigen Schimmer in seinen geröteten Augen. Außer den Augenlidern sind bei
ihm auch noch Nase und Wangen gerötet. Ein Sanguiniker. Die Krawatten, die er
sich umbindet, leuchten einem schon von weitem entgegen. Seine Hemden meistens
auch. Manche Leute lieben Blau, er offensichtlich Rot. Vielleicht zur
Erinnerung an seine rote Laterne, die man ihm zerbrochen hat, genauso wie sein
Herz.
    Als ich jetzt in sein Bistro
komme, steht er hinter der Theke und redet mit seinem Kellner. Ich bestelle,
sag mein „Guten Tag, Marcel“ und geb ihm einen aus.
Wir quatschen. Erst über Regen und schönes Wetter, dann über ernsthaftere
Dinge. Ich halte ihm die rosa Karte hin.
    „Sehen Sie mal, was ich
gefunden habe“, sage ich erklärend. „Sie gehörten doch zu dieser Zunft. Sind
Sie derselben Meinung wie ich?“
    „Meinung worüber?“ fragt er.
    „Daß das die Karte einer
Mausefalle ist.“
    „Ja, klar... genau das ist es.
Also, wenn Sie mich fragen... bevor ich auf den Arsch gefallen bin, hab ich
nicht...“
    Ich unterbreche unhöflich
seinen Erinnerungsstrom:
    „Gut. Sehr gut. Was halten Sie
davon?“
    „Die haben Schwein, in Shanghai.“
    „Mehr nicht?“
    „Nein. Was wollen Sie denn
sonst noch Schönes hören?“
    „Weiß ich nicht. Sie könnten
das Lokal zum Beispiel gekannt haben.“
    Er schüttelt seinen dicken,
roten Kopf.
    „Nein, mein Lieber. In der
Gegend hab ich mich nie rumgetrieben. Südamerika kenn ich, aber nicht China.“
    Ich steck die rosa Karte wieder
zurück in meine Brieftasche. Marcel runzelt die Stirn und sieht mich so
merkwürdig an. Er räuspert sich.
    „Wissen Sie, daß das da
vielleicht bares Geld ist?“
    „Die Karte?“
    „Warum nicht? Kennen Sie Guy
Florent?“
    „Nein. Wer ist das?“
    „Einer, der schreibt. Keine
Romane, aber er schreibt. Kennt jeder im Milieu. Ob woanders auch, weiß ich
nicht. Aber im Milieu kennt ihn jeder. Hat zwei oder drei Bücher über
Prostitution geschrieben, über Freudenhäuser und so. Der kennt sich mit so was
besser aus als ich. Aber...
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