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Survive

Survive

Titel: Survive
Autoren: Alex Morel
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Fläche jenseits des Flusses und bleibt an einer deutlich abgesetzten dunklen Linie am Horizont kleben. Ist das ein Zaun? Eine Straße? Eine Stromleitung? Ein Holzabfuhrweg? Was es auch ist, es muss von Menschenhand gemacht sein. Nichts in der Natur könnte eine so lange, gerade Linie über den Horizont ziehen. Mir kommt der Gedanke, dass mir meine Augen einen Streich spielen könnten.
    Das Erste, was sich zwischen der Linie am Horizont und mir befindet, ist ein schmales Stück Fluss. Ich trete an den Uferrand und schaue zu der Stelle hinunter, wo das Wasser seine Fließrichtung ändert. Es sind an der schmalsten Stelle wahrscheinlich etwa sechs oder sieben Meter bis ans andere Ufer, vielleicht auch weniger. Der Fluss ist nicht tief; das weiß ich, weil ich sehen kann, wie sich das Wasser auf den Steinen im Flussbett kräuselt.
    Ich sammle all meine trockenen Kleidungsstücke zusammen: eine Hose, eine Bluse und einen Pullover, zwei Paar Wollsocken, meine Jacke sowie die Windjacke, stecke sie in einen Plastikbeutel und binde ihn zu. Dann wickle ich den Beutel in meinen Schlafsack. Ich weiß, dass ich meine Kleider trocken halten muss, wenn die Durchquerung des Flusses nicht mein Tod sein soll.
    Ich rutsche das Ufer hinunter und gleite mit beiden Stiefeln ins Wasser. Die hier recht langsam wirkende Strömung ist stärker, als ich erwartet habe, aber das Wasser reicht mir nur bis zu den Schienbeinen. Ich stemme mich mit meinem vollen Gewicht gegen die Strömung und halte mich mit beiden Armen an der Böschung fest, um nicht mitgerissen zu werden. Ich schaue die Uferböschung hinauf und weiß, dass es nicht in Frage kommt, wieder hinaufzuklettern. Ich hole tief Luft. Lass es mich rüberschaffen. Lass es mich rüberschaffen.

Kapitel 34
    Ich stehe für einen Moment reglos da, mache mich mit der Stärke der Strömung vertraut und verinnerliche die Entfernung, die ich zurücklegen muss. Es sind keine sieben Meter, sage ich mir. Das kannst du schaffen. Ich gehe los, und der Fluss reicht mir zwei oder drei Schritte weit bis an die Knie, dann steigt mir das Wasser bis zu den Oberschenkeln, und seine Kälte wirkt belebend.
    Ich ramme meinen Stock so weit wie möglich vor mir in den Boden, werde dabei aber einige Schritte flussabwärts gezogen. Ich mache einen Satz und stütze mich auf den Stock wie ein Stabhochspringer, doch die Strömung reißt mich mit. Ich rudere mit den Beinen, so schnell ich kann, drücke mich fest mit dem Stock ab, und ich kann mich zwei, drei Meter über den Fluss bewegen. Kämpf nicht dagegen an, Jane. Lass dich von dem Fluss hinüberbringen. Ich versuche, den Stock wieder zu mir herzuziehen, aber der Sog ist zu stark. Ich sehe ihn davontreiben, mit der Strömung durchs Wasser schießen, und es ist, als verlöre ich meinen besten Freund.
    Ich bewege mich schnell und komme voran, die Flussbiegung ist allerdings näher, als ich erwartet habe. Ich kämpfe nicht mehr gegen die Strömung an; sie treibt mich vielmehr direkt auf das gegenüberliegende Ufer zu. Ich habe Mühe, mich über Wasser zu halten, denn die Kälte des Wassers lässt meine Muskeln verkrampfen. Ihre Verspannung macht es fast unmöglich, den Arm aus dem Wasser zu heben. Mein Körper ist schwer und taub. Für einen Moment wird mein Kopf von dem heftigen Sog unter Wasser gedrückt. Ich bekomme den Mund gerade so über Wasser und schnappe nach Luft, versuche, tief einzuatmen. Meine Lungen fühlen sich eiskalt an.
    Ich kann meine Beine nicht mehr spüren, und die mit Wasser vollgesaugten Hosen und die schweren Stiefel ziehen wie Bleigewichte an mir. Meine Tretbewegungen werden langsamer und hören dann auf. Ich rudere wild mit den Armen, aber die Kälte hat sie betäubt. Ich blicke auf, und ich kann sehen, dass ich die Hälfte des Weges hinter mir habe, jedoch mitten in der stärksten Strömung feststecke. Wenn der Fluss seine Biegung nach rechts macht, muss ich in der Nähe des jenseitigen Ufers sein, damit ich meine Vorwärtsbewegung stoppen kann und nicht weiter mit der Strömung mitgerissen werde. Doch ich kann ihr nichts mehr entgegensetzen. Meine Beine können nicht mehr kämpfen, und meine Arme werden von diesem wirbelnd tosenden Ungeheuer weggespült, als wären sie Federn.
    In dem Moment, als ich die Biegung erreiche, erfasst mich ein Strudel, und meine Füße streifen den felsigen Boden. Ich stoße mich sofort ab, werde über den Schlamm gespült, und die Anstrengung weckt neue Kräfte in meinen Armen, die nun wild ins Wasser
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