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Sturmwelten 03. Jenseits der Drachenküste

Sturmwelten 03. Jenseits der Drachenküste

Titel: Sturmwelten 03. Jenseits der Drachenküste
Autoren: Christoph Hardebusch
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ahnte, dass sie sie vergessen hatte. Sie war ihm gefolgt, in allem. Hatte alle anderen zurückgelassen und sich niemals mehr umgeblickt. Denn nur er besaß das Wissen, nach dem es sie verlangte.
    Und er hatte sie zu dem gemacht, was sie nun war.

JAQUENTO

    Im ersten Licht des Tages präsentierte sich die Küste als dunkler Umriss am Horizont, eingehüllt in Frühnebel, wie eine Jungfer, die zu keusch war, um sich ganz zu offenbaren. Der Wind blies nur schwach, und in der Nacht war so viel Segelfläche wie möglich gesetzt worden, um auch das letzte Lüftchen einzufangen. Einige Möwen hatten sich mit den Wolken auf die See hinaustragen lassen und umkreisten die Siorys nun in der Hoffnung auf etwas Essbares. Ihre Schreie waren wie ein von Wehmut erfülltes Klagen.
    Jaquento stand an der Reling, die linke Hand an einer Toppwant, die andere spielte unbewusst mit einem messingfarbenen Knopf seines Mantels. Die Rufe der Vögel brachten in ihm eine Saite zum Klingen, deren Ton ihm durch alle Glieder fuhr. Es war, als riefe ihn jemand von jenseits des Horizonts, und tief in seiner Seele wusste er, dass er diesen Ruf schon immer vernommen hatte. Nur hatte er ihn früher nicht deuten können und war deshalb vielen anderen Rufen, aber nicht diesem einen gefolgt. Wie hatte Rahel es ausgedrückt? ›Ich kann den Lockruf der See schon hören, kann sehen, wie er seine Widerhaken in deine Seele geschlagen hat. Das Meer ist deine Bestimmung, Jaquento.‹
    Als sie diese Worte zu ihm in einer heruntergekommenen Kaschemme in Portosa sprach, hatte er geglaubt, sie wolle
ihn zum Besten halten. Heute wusste er, dass sie Recht gehabt hatte. Obwohl sie ansonsten ein Miststück war, wie nur die Sturmwelt eines hervorbringen kann, dachte Jaquento mit dem Anflug eines Grinsens.
    Um ihn herum herrschte die ständige Betriebsamkeit eines Segelschiffs, die selbst in diesen frühen Stunden nie ganz zum Erliegen kam, doch er blendete für den Moment die thaynrischen Seeleute aus, die ihren Dienst taten oder sich in ihrer Freiwache an Deck begeben hatten, um die ersten, blassen Strahlen der Sonne einzufangen. Er ignorierte ihre Blicke, manche neugierig, manche feindselig, und hörte nicht auf ihre Stimmen. Er war erst vor wenigen Tagen überhaupt an Deck gekommen; vorher hatte er zehn Tage lang in der Kapitänskajüte gelegen, während sein Körper versuchte, sich von Kapitän Deguays letztem Degenstich zu erholen.
    Seit gestern versah er seinen Dienst wie die anderen auch, aber natürlich betrachteten ihn die übrigen Besatzungsmitglieder, als sei er ein Kalb mit zwei Köpfen: Ein einst in der Sturmwelt von der Marine gesuchter Piratenkapitän, der nun als Matrose auf einem thaynrischen Kriegsschiff Dienst tat, war eine Kuriosität, das sah er durchaus ein.
    In der Theorie mochte er nun einer von ihnen sein, doch weder fühlte er sich so noch akzeptierten sie ihn in ihrer Mitte.
    Langsam frischte der Wind auf, und die Korvette glitt schneller ihrem Ziel entgegen; ihr Bug durchpflügte die Fluten, und die Segel blähten sich, bis die Masten knarrten und das Tauwerk knallte. Das kleine Schiff war schnell und wendig; und auch wenn es nur über zwölf Kanonen verfügte und damit keinesfalls so stark bewaffnet war wie manch anderes Schiff Ihrer Majestät, so bewunderte Jaquento doch Kapitänin Hedyns kluge Wahl. Genau das richtige Schiff für eine Verfolgung.

    Aber die Todsünde hatte sich wieder einmal als schwer zu erhaschende Beute erwiesen, die ihnen entkommen war, kaum, dass sie die Gewässer Géronays hinter sich gelassen hatten. Seitdem mussten sie darauf hoffen, dass ein glücklicher Zufall oder die Hand der Einheit ihnen bei der Jagd helfen würde.
    Ein Pfeifen ertönte, und Seeleute sprangen in die Wanten, kletterten empor und begannen ihre Arbeit hoch oben im Tauwerk. Jaquento blickte sich um und entdeckte Roxane, die auf dem Achterdeck stand, in der für sie so typischen Haltung, die Hände hinter dem Rücken, den Mantel gegen die morgendliche Kälte bis zum obersten Knopf geschlossen, den Dreispitz auf dem Kopf. Noch war die Haut ihres Gesichts vom Aufenthalt in der Sturmwelt gebräunt, aber der Hiscadi meinte schon erkennen zu können, wie ihre thaynrische Blässe darunter zum Vorschein kam. Du wirst dir bestimmt einen Sonnenbrand holen, wenn wir erst wieder in sonnigere Gefilde kommen, dachte er.
    Sie sah nicht zu ihm hinüber, sondern blickte hoch zu den Masten, ein prüfender Blick, auf die Arbeit ihrer Besatzung und auf ihr Schiff
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