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Strange Angels: Verflucht: Roman (PAN) (German Edition)

Strange Angels: Verflucht: Roman (PAN) (German Edition)

Titel: Strange Angels: Verflucht: Roman (PAN) (German Edition)
Autoren: Lili St. Crow
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schwänzen. O nein! Er ließ nicht einmal gelten, dass er ohne mich ziemlich blind war, weil die mütterliche Seite seiner Familie die mit dem Talent war, das Gran als »die Gabe« bezeichnet hatte.
    Und was für eine Gabe! Mir ist noch nicht ganz klar, ob man sie »verrückt« oder bloß »unheimlich« nennen sollte. Das sollten wohl lieber andere entscheiden.
    Dad schien nie traurig oder unglücklich, weil ihm diese Hokuspokus-Ader fehlte. Andererseits hatte Gran eine tiefe Abneigung gegen alles »Geschmolle« gehabt, wie sie es ausdrückte, und sicher war das schon so gewesen, als Dad noch ein Kind war. Komisch, wie es ist, sich ihn als linkischen Teenager vorzustellen, war er dennoch einmal einer gewesen – und ich hatte die Bilder gesehen.
    Gran hatte für ihr Leben gern in Fotoalben geblättert.
    Nach dem fünfzehnten Klingeln hängte ich ein. Ich starrte das Telefon an und kaute auf einem Niednagel. Das tat höllisch weh, genau wie die verheilenden Risse auf meinen linken Fingerknöcheln, die ich mir am Sandsack geholt hatte. Andere Mädchen werden sicher nicht von ihren Vätern angebrüllt, sie sollten sich durch den Schmerz arbeiten, fester zuboxen, sich reinsteigern und töten, töten, töten! Andere Mädchen gossen sich auch kein Weihwasser in die Thermoskanne oder reichten Munition durch Fenster, während ihre Väter drinnen krabbelndes Zeug wie riesige Kakerlakenmutanten in Schach hielten. Das war in Baton Rouge, und es war richtig übel gewesen. Ich musste Dad ins Krankenhaus fahren und mir eine Geschichte ausdenken, wie ihm das Stück Wade abhandengekommen war.
    Manchmal war es schwer, zu entscheiden, wo das Lügen gegenüber der normalen Welt aufhörte und der Blödsinn anfing, den man in der Echtwelt erzählen musste. Unter der Oberfläche der Echtwelt tummelte sich derart viel Paramilitär, dass das Macho-Geprahle schnell einmal epische Proportionen erreichte.
    In meinem Kopf klingelte das Telefon weiter.
    »Vergiss es!«, murmelte ich, was ohnehin keiner verstand, weil zu viel Krach aus der Cafeteria drang. Der blöde Apparat schluckte zu allem Überfluss meine fünfzig Cent und rückte sie nicht wieder heraus.
    Ich blieb noch einen Moment vor dem Telefon stehen, als würde mir das Ding plötzlich eine Eingebung bescheren. In dem Gang stank es nach feuchter Wolle und nassem Estrich, vermengt mit dem Geruch von Formaldehydböden und den Ausdünstungen von zweitausend Teenagern. Ganz zu schweigen von verschwitzten Socken und Essen, das roch, als wäre es vorher von einem McDonald’s-Laster überfahren worden. Schulduft. Eigentlich ist er überall gleich, sieht man von minimalen regionalen Unterschieden im Fußschweiß und dem überfahrenen Essen ab.
    Der Lärm aus der Cafeteria schmerzte in meinen Ohren und setzte meinem Kopf zu wie Mom die Migräneattacken. Ich hatte Hunger, aber die Prozedur, hineinzugehen und mich durch die Schlange zu drängeln, dann einen Platz zu finden, wo ich mich hinsetzen konnte, ohne dass ich irgendjemanden angucken oder mir einen Tisch mit irgendwelchen Idioten teilen musste, schien mir schlicht zu anstrengend.
    Wenn ich nach Hause fuhr und Dad da war, setzte es eine Predigt. Kam ich nach Hause, und Dad war nicht da, würde ich bloß warten und mir Sorgen machen. Blieb ich hier und saß Geometrie und Kunst aus, drehte ich wahrscheinlich restlos durch, obwohl die Kunststunde im Grunde das Netteste am ganzen Tag war. Eine Komplettverschwendung hingegen stellte »Gesellschaftskunde« dar. Ehrlich, über den Stand der Gesellschaft lernte ich entschieden mehr, wenn ich nachmittags CNN sah. Vorausgesetzt, man definierte Gesellschaft als »Angeber mit teuren Frisuren«.
    In keiner dieser Stunden lernte man etwas Richtiges. Lieber hätte ich mit Dad ein Haus observiert oder »Infotouren« unternommen, wie er es formulierte: Läden für Okkultes oder Bars abklappern, Orte, an denen Leute, die von der Echtwelt, der dunklen Welt, wussten, zusammenkamen und sich zwischen ihren Schnäpsen flüsternd unterhielten.
    So wie der Teeladen, in dem Dads alter Kumpel August in New York herumhing, wo man ein paar Stufen hochging, um hineinzukommen, und andere hinaufstieg, um wieder herauszukommen. Oder die Bar in Seattle, wo dem Betreiber Keilzähne aus dem Unterkiefer seines warzigen Gesichts wuchsen, so dass er aussah, als würde er unter einer Brücke leben und Ziegen fressen. Oder der Nachtclub in Pensacola, in dem alle von der Discokugel gespiegelten Lichtstrahlen wie schreiende
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