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Sternstunde der Liebe (German Edition)

Sternstunde der Liebe (German Edition)

Titel: Sternstunde der Liebe (German Edition)
Autoren: Luanne Rice
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Fensterreihe, ergoss sich über ihre Schulter; silberne Staubpartikel tanzten in der Luft.
    »Ich höre dich nicht schreiben, Quinn«, flüsterte Ryan. »Liegt es daran, dass du keine Ahnung von warmblütigen Tieren hast? Du kannst nur mit Hummern umgehen, weil sie kalt sind, genau wie du. Macht es dir Spaß, sie in kochendes Wasser zu werfen?«
    »Du hast keinen blassen Schimmer …«
    »Erzähl das deinen Hummern. Du bist genauso kaltblütig wie sie.«
    Quinn verspürte einen Eisklumpen im Magen. Sie wollte nicht mit ihm streiten, weil sie wusste, dass er Recht hatte: Ich bin kalt. Ich komme mir vor wie ein Wechselbalg, ein Meeresungeheuer, seit meine Eltern ertrunken sind, dachte sie, aber sie schwieg. Trotzdem wäre sie am liebsten handgreiflich geworden – hätte ihn an den Haaren gezogen, bis er sie um Gnade anflehte. Sie liebte die Hummer, die sie fing, und war sehr stolz darauf, ihre Rolle in der Nahrungskette zu spielen.
    »Das war’s für heute«, sagte sie ruhig und mit großer Würde, als sie ihren Stuhl zurückschob, nach vorne ging und ihren unvollständigen Prüfungsbogen auf Rumers Pult legte. Obwohl am selben Tag noch weitere Prüfungen anstanden, hatte sie beschlossen, nicht daran teilzunehmen.
    »Was soll das heißen?« fragte Rumer.
    »Ich fahre mit dem Boot raus, Hummer fangen.«
    »Geh nicht.« Rumer hielt ihrem Blick stand. »Denk daran, was Winnie gestern Abend gesagt hat – über die außergewöhnlichen Leistungen.«
    Aber Wut und Kummer, die sich in Quinn aufgestaut hatten, brachen sich mit solcher Wucht ihre Bahn, dass kein Klassenzimmer die Flut der Gefühle zu fassen vermochte, und sie zuckte zurück. Ihre Blicke trafen sich, aber Quinn antwortete nicht. Niemand auf der ganzen Welt – nicht einmal eine Dame de la Roche, die vom gleichen Schlag war – konnte ermessen, was es hieß, Tag für Tag in Quinn Graysons Haut zu stecken, und dafür sollte Rumer ihres Erachtens dankbar sein.

    »Sie ist also von der Schule geflogen?«, sagte Sixtus Larkin, der sich vornüber gebeugt hatte und liebevoll die Reling seiner New York Yacht Club 30 abschmirgelte, eine Herreshoff-Konstruktion, seine größte Freude und sein ganzer Stolz. Seine Hände waren knorrig wie Baumwurzeln, aber er arbeitete behutsam und präzise.
    »Suspendiert, Dad«, berichtigte ihn Rumer, die auf dem steinernen Fenstersims saß und zu ihm hochblickte. Die Schaluppe befand sich auf einem Lagerblock, drei Meter über dem Boden, nach ihrem langen Winterschlaf gerade erst von den Schutzhüllen befreit. Die Arthritis machte Sixtus seit einiger Zeit zu schaffen, hatte ihm einen krummen Rücken und knirschende Gelenke eingetragen. Rumer, die sich um ihn sorgte, sah zu, wie er auf der Reling balancierte, holte tief Luft und fuhr fort: »Dem Rektor ist zu Ohren gekommen, dass sie das Schulgelände unerlaubt verlassen hat, und das war’s; für sie besteht keine Chance mehr, das Schuljahr ordnungsgemäß zu beenden.«
    Sich mit einem Bein auf dem Kajütendach abstützend, legte ihr Vater sein ganzes Gewicht in jeden Strich des Schmirgelpapiers und lachte stillvergnügt in sich hinein. Seine Haut, von Sonne und Wind gegerbt, war mit winzigen Farbklecksen gesprenkelt. Er trug uralte Top-Sider-Segelschuhe, ein weißes T-Shirt und Kakihosen – alles voller Löcher, als sei er in der Gosse gelandet. Wer ihn nicht kennt, könnte meinen, das sei seine Arbeitskluft, ausschließlich zum Streichen des Bootes bestimmt, dachte Rumer, während sie ihn musterte, aber weit gefehlt: Er hatte sich seit fünfzehn Jahren nichts Neues mehr zum Anziehen gekauft und lief die ganze Zeit in diesem Aufzug herum.
    »Junge, Junge, Quinn ist ein harter Brocken, wie mir scheint.« Er schmirgelte noch kräftiger.
    »So kommt sie mir eigentlich nicht vor.« Rumer rieb sich die Augen.
    Letzte Nacht hatte sie schlecht geträumt. Sie hatte sich im Schlaf hin- und hergewälzt, in den verschwitzten Laken gelegen und sich zu erinnern versucht, was in ihrem Traum geschehen war. Ein grünes Cottage, ein Dachfirst, das wunderbare Gefühl der Liebe, und dann war ihre Welt zusammengebrochen, hatte sich als Trugbild entpuppt: mit Lügen, Verrat, zwei Menschen, die sie miteinander im Bett erwischte … Sie schauderte, konnte sich nun einen Reim darauf machen. Zeb kehrte zurück. Und damit rissen alte Wunden wieder auf.
    »Im Sprachgebrauch der Lehrer ist sie ein so genanntes ›Disziplinarproblem‹«, fuhr ihr Vater fort. »Wir können nicht zulassen, dass Schüler
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