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Sternenwind - Roman

Sternenwind - Roman

Titel: Sternenwind - Roman
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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rettete, dass sie ihr Leben gegen uns sechs einhandelte und behauptete, wir würden uns eines Tages als nützlich erweisen.
    Therese und Steven behandeln mich recht gut, und ich respektiere sie. Anfangs waren sie für uns eher Gefängniswärter denn Eltern. Erst als wir alt genug waren, um ihnen bei der Arbeit zu helfen, als wir gelernt hatten, unsere Fähigkeiten vorsichtig und subtil einzusetzen und anzubieten, begannen sie, uns respektvoller zu behandeln und vielleicht sogar als Teil ihrer Familie zu sehen. Mein Bruder Joseph liebt die beiden, glaube ich. Er hat gar keine Erinnerungen an unsere Eltern. Er kann sich überhaupt kaum an die ersten paar Jahre erinnern, die wir in Artistos lebten. Er weiß nicht mehr, wie er misstrauisch beobachtet wurde, als könnte er die Hand beißen, die ihm das Frühstück brachte. Er erinnert sich nicht an die Zeit, bevor die Menschen von Artistos damit begannen, unsere Fähigkeiten anzuerkennen, uns widerstrebend erlaubten, am Leben der Kolonie teilzuhaben.
    Warum sollte man uns auch nicht respektieren?
    Ich bin sehr stark, und ich bin gut darin, räumliche Beziehungen zu erkennen, Flugbahnen, Trends und menschliche Interaktionen einzuschätzen. Durch diese Fähigkeiten habe ich eine unmerkliche Bedeutung gewonnen, ich mache mich nützlich, ohne dass es allzu sehr auffällt. Genau wie ich hat auch Joseph keine äußeren körperlichen Optimierungen, obwohl er ebenfalls stark und schnell ist und scharfe Sinne hat. Seine außergewöhnliche Gabe liegt tief in ihm verborgen. Er absorbiert, synthetisiert und dirigiert Informationen, verwaltet mit seinem Gehirn gleichzeitig multiple Datenströme und zahlreiche Inputs, erkennt parallele Tendenzen und korreliert große Informationsmengen. Er gibt sich so große Mühe, allen zu gefallen, dass die meisten ihn lieben. Warum auch nicht?
    Wir müssen uns gegenseitig unterstützen, um zu überleben.

Kapitel 1
    UNSER ZWEITER VERLUST
     
     
     
     
     
     
     
     
    Lassen Sie mich mit einem nahezu perfekten Morgen auf Fremont beginnen. Das erste Licht des Sonnenaufgangs besprenkelte meine Beine mit Mustern, die von den breiten Blättern des Zeltbaums erzeugt wurden, unter dem ich saß. Der Samtfluss strömte gemächlich fünfzehn Meter tiefer dahin. Zwei unserer sieben Monde standen blass am hellen Tageshimmel: Treue, groß und rund, gefolgt von seinem kleineren Begleiter Hoffnung. Genauso rund wie die Monde, aber zum Greifen nah und viel kleiner, hingen an den Sträuchern die Rotbeeren, die zu klebrigen Kugeln in der Größe meines Daumennagels angeschwollen waren. Meine Finger waren rotfleckig. Ich saß da und quirlte müßig einen Stock in den Händen, während ich über den Sommer nachdachte, der nicht so anstrengend wie die meisten gewesen war, an die gute Ernte, die gerade in den Kornkammern und den Lagerräumen verstaut wurde. Meine Hände bewegten sich aus eigenem Antrieb, unruhig, weil der Frieden mich unruhig machte.
    Schritte auf dem Weg hinter mir kündigten meinen kleinen Bruder an. Joseph war gerade alt genug für einen hellen Flaum, der sein Kinn bestäubte, und für eine leichte Verbreiterung der Schultern, die seine dünne Gestalt umso deutlicher betonten. Er grinste über das ganze Gesicht, als er sich neben mich setzte und mir den Stock aus den Händen nahm.
    »He, Chelo, ich zeige es dir.« Er langte nach oben und pflückte ein großes grünes karoförmiges Blatt von einem tiefhängenden Zweig des Zeltbaums. Er faltete das Blatt und spaltete dann das obere Ende des Stocks, worauf er das Blatt in den Spalt klemmte. »Siehst du?« Mit flachen Händen drehte er den Stock, so schnell, dass die schwarzen Sprenkel auf der weißlichen Rinde zu Grau verwischten. Er lächelte spitzbübisch, und seine dunklen Augen tanzten. Plötzlich nahm er die Hände auseinander, und der Stock stieg empor, erhob sich über unsere Köpfe, wobei er wie Nachtgrillen schwirrte. Dann trennten sich Stock und Blatt. Das Blatt segelte herab und landete auf meinem Kopf. Wir lachten.
    »Komm, Schwester, lass uns gehen.« Eilig stand er auf und trat von einem Bein aufs andere, voller rastloser Energie. Er war fast so groß wie ich, genauso schwarzhaarig und schwarzäugig wie ich und schnell und stark wie wir alle – die sechs Modifizierten. Bei Joseph zeigten sich die Schnelligkeit und Kraft in langen drahtigen Gliedern und ausgeprägten Muskeln. Keiner von uns beiden wies offensichtliche körperliche Ungewöhnlichkeiten auf, wir hatten weder Bryans
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