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Sterbelaeuten

Sterbelaeuten

Titel: Sterbelaeuten
Autoren: Endemann
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Tellern ins Esszimmer zurück. Sie setzten sich an den Esstisch und genossen die Möglichkeit, ein vernünftiges Gespräch unter Erwachsenen zu führen, indem sie schweigend aßen. Aus der Küche drang lautes Gejohle. Elisabeth stand auf, um etwas zu trinken zu holen. Als sie die Tür öffnete, sah sie Markus auf seinem Stuhl stehen. In seinen Ohren steckten Wiener Würstchen. Alle Kinder lachten.
    „Ja spinnst du denn total?“, schimpfte Elisabeth. „Setz dich sofort wieder hin. Was musst du hier so einen Kasper machen?“
    Sie kehrte mit einer Flasche Sprudelwasser ins Esszimmer zurück.
    „Was war denn?“, wollte Henry wissen.
    „Markus führt sich auf wie ein Depp“, antwortete Elisabeth. „Steht auf dem Stuhl und hat Würstchen in den Ohren stecken.“
    Die Männer lachten.
    „Arme Miriam“, sagte Elisabeth, „der können wir eigentlich nicht mehr zumuten, mit diesen Knallköpfen zu essen.“
    „Glaub mir, die isst viel lieber mit den Knallköpfen als mit uns Scheintoten“, beruhigte sie Thomas.
    „Kaffee?“, fragte Henry nach dem Essen. „Ich koche einen Kaffee, der die Scheintoten aufweckt“, versprach er und betrat unerschrocken die Küche. Dort erwartete ihn ein Bild, mit dem er nicht gerechnet hatte: Miriam räumte die dreckigen Teller in die Spülmaschine. Und Markus half mit.
    –
    Antoni kniete in der Kirchenbank und senkte den Kopf. Er hieß das Gefühl der harten Bank unter seinen Knien willkommen und wäre gerne die ganze Nacht auf Knien in der Kirche geblieben, als Zeichen seiner Reue. Er fühlte sich wie ein Verräter. Die alte Frau Heinemann und ihre Töchter waren in den vergangenen Monaten zu einer zweiten Familie für Antoni geworden. Seine deutsche Familie, wie er sie für sich nannte. Was er jetzt vorhatte, ja schon begonnen hatte, fühlte sich ganz und gar falsch an. Es war, als hätte er zwei Gesichter, das eine, dass er der Familie zeigte, die ihm vertraute, und das andere, mit dem er eben diese Menschen verriet und im Stich ließ. Aber letztlich hatte er keine Wahl. Letztlich ist sich jeder selbst der Nächste, dachte er; und er dachte auch an seine alten Eltern, die von ihrer Rente nicht annähernd leben konnten. Er dachte an seine Schwester. Alicja hatte zwei Kinder zuhause in Polen und kam jede Woche für vier Tage zum Putzen nach Deutschland. An diesen vier Tagen putzte sie bis zum Umfallen, zwölf Stunden am Tag. Sie übernachtete dann bei Antoni in dessen Zwei-Zimmer-Wohnung in Schwalbach. Was, wenn er die Miete nicht mehr zahlen konnte?
    Pfarrer Herrmann blickte sorgenvoll auf den gesenkten Kopf des Polen. Er kannte ihn. Es war der junge Mann, der Frau Heinemann in ihren schweren letzten Monaten pflegte. Die Familie hielt große Stücke auf ihn. Aber irgendetwas schien dem Mann Sorgen zu bereiten. Auch für einen gläubigen polnischen Katholiken war es doch sicher nicht Pflicht, an einem Tag Vorabend-, Früh- und Spätmesse zu besuchen? Herrmann nahm sich vor, den Mann im Anschluss an die Messe anzusprechen. Aber als die Messe zu Ende und der Pfarrer aus der Kirche ausgezogen war, musste der Pole die Kirche schon verlassen haben. Pfarrer Herrmann konnte ihn nirgends sehen. Suchend blickte er in die kalte Nacht. Sein Blick fiel auf den mit einer Lichterkette geschmückten Baum auf der Grünfläche, die die Kirche von der Hauptstraße trennte. Die Lichterkette ließ den Baum aussehen, als habe er eine Duschhaube auf der Krone. Das würde er in seinem Gemeindevorstand aber nicht laut sagen.
    –
    „Guten Morgen“, sagte Henry mit dem Ton eines Lehrers, der seine Klasse betritt und ein Chaos vorfindet. Zwei Köpfe fuhren herum. Ilona, die Sekretärin der Kirchengemeinde, saß am PC, neben ihr stand ein Mann. Er hatte ihr über die Schulter gesehen, als Henry das Büro durch die Tür betrat, die es von seinem Arbeitszimmer trennte.
    „Guten Morgen, Henry.“ Ilona hatte rote Flecken im Gesicht. „Äh, kennst du Jakob Clausen?“
    Der Mann, den Henry jetzt als den Weihnachtsmarkt-Helfer erkannte, lächelte gewinnend und streckte Henry die Hand hin: „Jakob Clausen, freut mich, Sie kennenzulernen, Herr Pfarrer!“
    Henry schüttelte seine Hand.
    „Jakob hilft neuerdings mit im Gemeindebriefteam.“ Die Flecken verblassten zusehends. „Er ist IT-Spezialist.“ Jetzt schwang bereits Stolz in Ilonas Stimme. Seht her, ich habe uns einen IT-Spezialisten an Land gezogen, sollte die Nachricht an Henry lauten.
    „Wo arbeiten Sie denn?“, fragte Henry.
    „Kleine Firma in
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