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Stephane Hessel - ein Jahrhundertleben

Stephane Hessel - ein Jahrhundertleben

Titel: Stephane Hessel - ein Jahrhundertleben
Autoren: Hermann Vinke
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Kameraden wieder einen Fluchtplan. Während die beiden noch zögern, macht er sich ans Werk. »Wir mussten versuchen, vom Zug abzuspringen. Zuerst galt es, Bretter im Boden des Waggons zu lösen, und zwar nachts, damit niemand etwas merkte. Als der Zug bremste, sprang ich als Erster und lief den Bahndamm hinunter. Plötzlich begann eine Schießerei. Ob die Schüsse mir galten, weiß ich nicht, es war ja stockdunkel. Meine Kameraden dachten, mich hätte es erwischt. Deshalb sind sie nicht gesprungen.«
    Die abenteuerliche Flucht geht von Lüneburg in Richtung Hannover. Unterwegs wird Hessel von US-Soldaten aufgelesen. Mit dem Panzer soll es nach Magdeburg gehen. »Aber sie haben mich (bei einer Übernachtung unterwegs) schlafen lassen. Plötzlich wachte ich auf und stand SS-Leuten gegenüber, die in der Gegend umherirrten. Dann gelang mir etwas, woran ich selbst nicht geglaubt hatte: Ich konnte den SS-Trupp überreden, mir zu folgen, indem ich vorgab, den Weg zu kennen. Ich überlegte, wo die Amerikaner sein könnten, und führte die SS-Leute direkt zu ihnen. Sie ließen sich widerstandslos festnehmen. Ich glaube, bei dieser Flucht hatte ich mehr als einen Schutzengel an meiner Seite.«
    Ein neues Kapitel
    Im Frühsommer 1945 beginnt ein ganz neues Kapitel für Stéphane Hessel, und zwar das eines rastlosen Weltbürgers, der den Globus als sein Wirkungsfeld betrachtet. Nach den Schrecken des Krieges hat er sich entschlossen mitzuhelfen, die Welt menschlicher zu gestalten, Krisenherde zu entschärfen sowie Hunger und Elend zu bekämpfen.
    Am Sitz der Vereinten Nationen in New York wirkt Hessel 1948 an der UN-Menschenrechtscharta mit. Der Weltorganisation dient er in verschiedenen Missionen. New York, Saigon, Algier, Gen f – Hessel ist auf allen Kontinenten unterwegs, wobei ihm besonders Afrika ans Herz gewachsen ist. »Ich glaube nicht, dass Afrika verloren ist«, sagt er im Gespräch. »Ich habe vier Jahre in Algerien gelebt und bin oft nach Burundi und Burkina Faso gereist. Die Menschen in Afrika leiden noch immer an den Folgen der Kolonialherrschaft. Aber sie versuchen, diese Vergangenheit zu überwinden. Ihre Gastfreundschaft, ihre Menschlichkeit beeindrucken mich immer wieder zutiefst.« Ein junger Senegalese trainiert Hessel gerade für den Umgang mit dem Internet. »Er beherrscht das sehr gut. Ich höre ihm zu und lerne von ihm.«
    Mitte der 1990er-Jahre steht Hessel in Frankreich wochenlang in den Schlagzeilen, weil er sich für illegale Einwanderer einsetzt, die keine Papiere besitzen. Um ihrer Abschiebung zu entgehen, haben die Immigranten sich in die Kirche St . Bernard in Paris geflüchtet. Während Hessel mit dem Premierminister über eine Lösung verhandelt, wird die Kirche brutal geräumt.
    »Ich gebe nicht auf«
    Niederlagen gehören im Leben von Stéphane Hessel dazu. Aber das Scheitern schreckt ihn keineswegs ab. »Ich gebe nicht gerne auf«, sagt er. »Wahrscheinlich bin ich auch deshalb Diplomat geworden, weil ich Menschen überzeugen will und sie nicht verprelle. Und wenn etwas schiefläuft, lasse ich mich nicht entmutigen.«
    Sein Optimismus, aber auch seine Energie scheinen grenzenlos. Allerdings versucht seine Frau Christiane ihn zu bremsen. »Sie meint, ich sei zu alt. Die anderen sollen es ohne mich machen. Aber ich sage: Na ja, solange ich noch etwas Nützliches beitragen kann und der Körper mitmacht, kann ich doch nicht Nein sagen. Der Gedanke mitzuhelfen, dass zum Beispiel Kinder im Gaza sauberes Trinkwasser bekommen, macht mich glücklich. Also, ich mache weiter!«
    Manche seiner Sätze wirken wie frohe Botschaften an die Adresse der geplagten Menschheit. Stéphane Hessel ein »Botschafter des Glücks«, wie eine Zeitung meint? Seine Zuversicht jedenfalls ist ungebrochen: »Alles Wünschenswerte wird einmal wah r – nicht alles, was wir uns wünschen, aber alles, was es wert ist, gewünscht zu werden.«

Interview mit Stéphane Hessel
    Der ehemalige Résistance-Kämpfer und Diplomat will die Welt besser und menschlicher gestalten.
    Herr Hessel, Sie sind gebürtiger Berliner und haben als junger Mann die französische Staatsbürgerschaft angenommen. Was hat Ihnen das damals bedeutet?
    S H – Ich bin als Siebenjähriger nach Frankreich gekommen und habe sofort eine französische Schule besucht. Es war klar, dass ich eines Tages Staatsbürger Frankreichs sein würde. Kein Nationalist, niemals! Aber ich wusste: Ich gehöre zu Frankreich. Somit war es auch kein Problem, in die
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